Schulassistenz: Lehrer sind nur halbherzig dabei. FASD wird nicht wirklich akzeptiert

Auf unserem jüngsten FASD-Fachtag in Schleswig-Holstein haben wir auch die Schulassistenz thematisiert. Dazu antworteten der Moderatorin Dagmar Elsen, Journalistin und Autorin, die Schulassistenz Ruth-Böttcher-Carstensen, Nadine Hess, Koordinatorin Schulbegleitung beim Träger „Soziales mit Herz und Verstand“, Professor Dr. Hans-Ludwig Spohr, Kinderarzt und Neuropädiater, Astrid Wendel, pädagogische Leiterin der ADS Kita Bredstedt, die Psychiaterin vom Sozialpädiatrischen Zentrum und der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Charité Berlin, Dr. Heike Wolter.

Dagmar Elsen: Ruth, Du hast Dich auf die Assistenz von FASD-Kindern in der Schule spezialisiert. Wie kommt Deine Arbeit an bei den Lehrern? Weckst Du eher Unmut oder Begeisterung?

Ruth Böttcher-Carstensen: Von bis. Also mitunter stoße ich auf offene Ohren. Manchmal, ja, da kriege ich zu hören, was du wieder hast, immer willst du dein Kind in Vordergrund stellen. Wenn ich sage, er hat nur dieses Fenster von 15 Minuten an Konzentration, dann gehe ich mit ihm raus. Denn dann stört er den Unterricht nicht. Für mich ist das schon wirklich schön, wenn er sich überhaupt 15 Minuten konzentrieren kann. Denn er hat ständig diese ganzen äußeren Eindrücke, die ihn ablenken. Es ist sehr schwer für einen Menschen in einer Gemeinschaftsschule, in der Realschüler, Hauptschüler und Förderschüler in einem Klassenverband sind, sich überhaupt dem ganzen Thema konzentriert zu widmen. 

Dagmar Elsen: Sind die Lehrer auf den Förderschulen vorinformiert über FASD?

Ruth Böttcher-Carstensen: Sie wissen worum es geht. Die meisten haben auch irgendein Seminar besucht.

Dagmar Elsen: Das ist ja schon mal ein Fortschritt.

Ruth Böttcher-Carstensen: Sind aber nur halbherzig dabei. Weil sie generell total überfordert sind.

Nadine Hess: Es hakt an so vielen Stellen. Wenn wir Assistenzen installiert haben, dann kommt von der Schulleitung die Frage: Warum sind die denn eigentlich da? Es ist eigentlich die Aufgabe des Trägers der Schule mitzuteilen, um was es sich handelt. Tun sie aber nicht. Dann müssen wir uns erst einmal um die Entbindung der Schweigepflicht kümmern. Das kommt noch on top. Wir dürfen uns ja nicht immer austauschen, wie wir das gerne hätten. 

An den Regelschulen, wo wir ja auch sind, gibt es noch so viel Aufklärungsbedarf. Teilweise haben wir noch nicht einmal eine Förderlehrkraft, die für uns erreichbar wäre, mit der man zusammenarbeiten kann. Wir wünschen uns immer den Austausch mit der Schule und auch den Pflegeeltern – alle müssen mitspielen. Aber das ist eher selten umsetzbar, weil irgendeiner nicht mitspielt. 

Und das ist besonders schlimm: Wir hatten auch schon Kinder, die noch bei den Eltern lebten, die noch keine Diagnose hatten, sondern nur den Verdacht, wo wir erst später die Diagnostik bekommen haben. Wir hätten uns gerne früher ausgetauscht. Dann wieder unterstützen wir Kinder mit der falschen Diagnose. Dann sind die ganzen Ansätze falsch. Dann sitzt das Kind unter dem Tisch und da drei Erwachsene stehen drum herum, und vielleicht noch eine fremde Person, und versuchen, das Kind unter dem Tisch herauszubekommen. Und wir laufen ein Jahr lang mit der falschen Diagnose im Klassenverband und wissen gar nicht, wie wir es unterstützen sollen.

Astrid Wendel: An den Schulen fehlen Strukturen. Da kannst du nur mit dem Kopf schütteln ohne Ende. Da ist es dann auch so, dass auch die Schulen das Alkoholsyndrom akzeptieren müssten. Aus meiner Erfahrung sagen die Schulen, das Kind hat doch gar nichts, das ist doch nicht krank, warum brauchst du Assistenz,

Professor Dr. Hans-Ludwig Spohr: Das muss ich wirklich sagen. Wenn es die Pflege- und Adoptiveltern nicht gäbe, dann wären diese Kinder durch das Raster und durch das Netz gefallen. Es ist unglaublich, was Pflegeeltern da leisten. Immer das schwächste Glied. Immer heißt es, ja wenn sie die nicht erziehen können, dann können sie sie nicht in unsere Schule schicken. Das ist so absurd. Weil die Diagnose nicht akzeptiert wird und sich die Ärzteschaft automatisch dagegen wehrt. Immer noch.

Dr. Heike Wolter: Hinsichtlich des Themas Schule ist auch  FASDplus total wichtig. Es reicht nur die Diagnose FASD letztendlich nicht. Es braucht dringend eine ergänzende psychiatrische Diagnostik. Umfassend. Um wirklich zu sehen, wo sind die Stärken und Schwächen. Ich erlebe das im Alltag immer wieder. Es ist dann am Ende des Tages relativ simpel. Die Kinder dürfen nicht überfordert werden. Wenn diese Kinder überfordert werden, dann geht nichts mehr.

Ich habe jetzt nach langen, langen Kämpfen erreicht, der Junge hatte alles in der Schule, Schulbegleitung, Medikation rauf und runter, Tagesklinik, immer wieder Psychiatrie. Jetzt hat er es geschafft, in eine Förderschule zu kommen in Brandenburg oder Potsdam. Und jetzt geht es ihm gut. Jetzt ist er entlastet. Kleine Klassen, Förderschwerpunkt Lernen, obwohl er eigentlich im unteren Durchschnittsbereich vom IQ liegt. Jetzt ist die Aggressivität endlich beendet, oder zumindest weitgehend beendet. Und es war wirklich hochdramatisch.