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Therapie-Serie – “Achtet auf das, was gut tut!” – Teil 6 : Motopädie –

Das Fetale Alkoholsyndrom bringt nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen insgesamt 419 verschiedene Symptome hervor. Dazu zählen körperliche Beeinträchtigungen wie auch neurologische Entwicklungsstörungen. Die neurologischen Defizite sind nicht heilbar, die Betroffenen haben ein Leben lang mit den Auswirkungen zu kämpfen. Es ist jedoch möglich, die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe von Therapien zu fördern.

Um bei der allgemeinen Flut von Therapieangeboten einen Überblick zu bekommen, welche Therapien sinnvoll sein können, haben wir unsere Botschafterin, die Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters, gebeten eine Auswahl zu treffen. Entstanden ist eine “Therapie-Serie”, deren Staffeln wir in loser Abfolge online stellen.

Grundsätzliches für jede Therapieplanung

Annika Rötters: “Das wichtigste überhaupt ist: Achtet auf das, was gut tut!”

Die Störungen der alkoholgeschädigten Kinder und Jugendlichen sind individuell, so dass es für die Therapieplanung notwendig ist, für jeden Patienten das Passende bzw. die passende Kombination zu finden. Dabei ist ‘mehr’ nicht unbedingt ‘besser’. Bedingt durch das Spektrum der Schädigungen und die oft damit einhergehende Intelligenzminderung sowie die schnelle bzw. schnellere Reizüberflutung, möchte ich mich dafür aussprechen, nicht zu viel auf einmal anzugehen. Es sollte immer im Fokus behalten werden, dass eine Tendenz zur Überforderung besteht, die es zu verhindern gilt.

Nach meiner Erfahrung mit ‘besonderen Kindern’ kann ich empfehlen: Nicht zu viele Termine – und nicht mehr als einen Termin (egal ob Diagnostik oder Therapie) pro Tag und keinesfalls mehr als zwei pro Woche. Termine sind für alle anstrengend, und das, was innerhalb eines Termines geschieht, muss in ausreichender Zeit verarbeitet werden können. Notfälle sind von dieser Empfehlung natürlich ausgenommen.

Termine sollten außerdem so geplant werden, dass sie in den Tagesablauf des Patienten passen. Es darf beispielsweise nicht sein, dass für einen Termin der Mittagsschlaf geopfert wird.

Nicht zuletzt sollte der Therapieplan individuell mit den jeweiligen Ärzten und Therapeuten des Vertrauens auf den Patienten abgestimmt werden.”

Motopädie

Der zentrale Ansatz bei der Motopädie ist die Bewegung, wobei der Begriff der Psychomotorik im Mittelpunkt der motopädischen Arbeit liegt. “Das heißt, die Wechselwirkungen von Körper und Psyche sollen genutzt werden, um pädagogisch präventiv oder therapeutisch rehabilitierend den Patienten dabei zu unterstützen, seine Psyche im Einklang mit dem Körper zu halten, respektive zu bringen”, erläutert Annika Rötters. Das ist der Unterschied zur Ergotherapie, bei der der Schwerpunkt auf dem alltäglichen Handlungsbereich liegt.

Dennoch gilt auch in der Psychomotorik die Bewegung als wesentlicher Bestandteil der Persönlichkeitsentwicklung. Denn durch Bewegung setzt sich der Mensch automatisch sowohl mit seinem Körper als auch mit seinem materialen und sozialen Umfeld auseinander. Wichtig zu wissen bei der Motopädie ist, dass hier nicht bei den diagnosdizierten Defiziten angesetzt, sondern sich an den Begabungen orientiert wird. Diese gilt es zu stärken, um damit das Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen zu steigern.

Angewendet wird die Motopädie bei senso-, psycho und soziomotorischen Leistungsstörungen sowie bei Verhaltens- und Wahrnehmungsauffälligkeiten. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn die Kinder und Jugendlichen

+ Problem mit rhythmischer Motorik haben, schlecht werfen und fangen können

+ sich unsicher fühlen, weil sie ihre Balance nicht halten können

+ Angst haben, sich neuen Bewegungsabläufen zu stellen

+ Kontakte vermeiden, Regeln nicht akzeptieren können

+ nicht zur Ruhe kommen und ihre Impulse nicht regulieren können

+ orientierungslos sind und sich hinsichtlich ihres eigenen Körpers und ihrer Umwelt nur schwerlich zurecht finden

Worauf muss geachtet werden?

Neben der beruflichen Qualifikation des Motopäden muss natürlich darauf geachtet werden, dass die Passung Therapeut-Patient stimmig ist.

Tip: www.motopaedie-verband.de/anerkannte-praxen

Auf den Seiten des Deutschen Bundesverbandes der Motopäden und Mototherapeuten DBM e.V. sind die geprüften und nach DBM e.V. Richtlinien anerkannten Praxen aufgeführt

Achtung: Motopädie ist keine von den Krankenkassen anerkannte Therapieform, kann nicht nach den allgemeinen Heilmittelrichtlinien vom Arzt verordnet werden. In der Regel müssen also die Therapiestunden selbst bezahlt werden. Manche privaten Krankenkassen übernehmen die Kosten, wenn man ihnen die positiven Ergebnisse der Therapie plausibel vermitteln kann.

Die Therapie-Serie auf einen Blick:

1. Tiergestützte Therapie

2. Musiktherapie

3. Physiotherapie

4. Ergotherapie

5. Logopädie

6. Motopädie

7. Psychotherapie

8. Ernährungstherapie

9. Neurofeedback

Informationen zur Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters: www.psychotrainment.de

Autorin: Dagmar Elsen

“Ich wünschte mir so sehr in eine Pflegefamilie zu kommen”

Für Elvira aus Berlin, 31 Jahre und Mutter eines neun Jahre alten Sohnes, steht fest: Hätte man sie ihrer Mutter weggenommen, dann wären ihr all die schrecklichen Erlebnisse, die sie zutiefst traumatisiert haben und mit denen sie bis heute zu kämpfen hat, erspart geblieben. Elvira versteht bis heute nicht, warum niemand geholfen hat. “Es haben alle gewusst”, betont sie, “es war den Lehrern bekannt, den Eltern, dem Jugendamt, den Nachbarn, den Ärzten.” Es war auch ein offenes Geheimnis, dass der Vater sich kurz nach der Geburt der Tochter das Leben genommen hatte. Man habe nichts tun können, hat man ihr erklärt, nachdem das Kind 15 Jahre einen einzigen Albtraum erlebt hatte, der erst mit dem Tod der Mutter endete.

“Seit ich mich erinnern kann, hat meine Mutter getrunken”, sagt Elvira. Jeden Tag, den ganzen Tag, gleich nach dem ersten Kaffee morgens ging es los. Da wurde das Bier in die Kaffeekanne geschüttet und hinter das Sofa gestellt. Am Nachmittag zog es die Mutter in die Kneipen. “Ich kannte sie alle in Tempelhof, die Kneipen waren meine zweite Heimat”, so Elvira. Da hat das kleine Mädchen dann gesessen zwischen “all diesen ekligen Suffis” und hat mit Bierdeckeln Türme gebaut, Fassbrause trinken und aus dem Automat an der Wand Nüsse ziehen dürfen. Manchmal hat ihr ein gut gelaunter Suffi die Musikbox angeschmissen. Dann hat die kleine Elvira dazu getanzt – ein kurzes Highlight im ansonsten traurigen Alltag des Kindes.

Denn ging es wieder nach Hause, war die Mutter “immer so sehr besoffen, dass sie nicht mehr richtig laufen konnte.” Dann musste Elvira warten, bis die Mutter ihren Rausch ausgeschlafen hatte. Warten musste sie auch, bis die Mutter Hunger hatte. Denn nur dann gab es Essen, Essen aus der Konservendose. Ravioli. Und Gulasch. Vor allem Ravioli.

Gab es Freunde? “Nein”, sagt Elvira entschieden, “ich war immer allein.” Jeder wusste, dass Elvira’s Mutter eine starke Alkoholikerin war. Niemand wollte “mit so einer” was zu tun haben. “In der Grundschule haben sie mich deswegen gemobbt”, berichtet die junge Mutter. Das ging so weit, dass sie ihr Pinnadeln in den Körper stachen und sie damit über den ganzen Schulhof jagten. “Immer wieder haben sie mir an den Haaren gezogen. Einmal war es so schlimm, dass meine Kopfhaut verrutschte und mit sechs Spritzen wieder eingerückt werden musste”, lässt Elvira mit ihren Erzählungen erschauern.

Wieso wussten alle vom Alkoholismus der Mutter? “Wir hatten Grundschulfest und es wurde Alkohol ausgeschenkt. Meine Mutter hat sich total volllaufen lassen. Dann fiel sie kopfüber ins Gebüsch. Nur noch die Beine ragten heraus. Ich habe gebrüllt wie am Spieß. Ich fühlte mich total hilflos. Ein Pärchen hat uns nach Hause vor die Türe gebracht. Meine Mutter krabbelte dann auf allen Vieren die Treppe hinauf und ich musste die Tür aufschließen”, erzählt Elvira. Es war ein Erlebnis, das der damals Siebenjährigen die Augen öffnete: “Es war das erste Mal, dass ich das so richtig bewusst erlebt habe. Ich dachte, das ist doch nicht normal.”

Ab diesem Tag versuchte die kleine Elvira, was fast alle Kinder von Alkoholikern tun – den Alkohol zu entziehen, sprich, den Alkohol in den Ausguss schütten. Wie das endete, ist allenthalben traurige Realität: Es gab Schläge, in Elvira’s Fall besonders gern mit einem Teppichklopfer.

Als Elvira’s Mutter an den Folgen ihres Alkoholismus’ gestorben war, “haben sie sich beim Jugendamt mit Hilfspaketen für mich fast überschlagen.” Das arme Mädchen sollte alles nacherleben, was ihr entgangen war und bekam eine Einzelfallhelferin an die Seite. Untergebracht werden sollte sie bei ihrer Verwandtschaft. “Es wollte mich aber keiner haben”, sagt Elvira, “denn alle dachten, ich sei frech und respektlos.” Niemand habe ja gewusst, was das Mädchen erlebt hatte.

Und noch etwas hatte keiner in ihrer Familie gewusst – dass Elvira vom Fetalen Alkoholsyndrom (FAS) betroffen war. “Das habe ich erst durch meine Einzelfallhelferin erfahren. Es gibt einen Bescheid vom Versorgungsamt Berlin aus dem Jahre 1996. Da war ich sieben Jahre alt. In dem Bescheid steht, dass ich einen frühkindlichen Hirnschaden mit proportionalem Kleinwuchs habe, eine Lernstörung und eine Störung der Grobfeinmotorik. Mir selbst ist zudem aufgefallen, dass ich eine extreme Matheschwäche habe, und es mir sehr schwer fällt, mir mehrere Dinge zu merken. Manchmal fühle ich mich bei zu vielen Anforderungen, die auf mich einprasseln, überfordert. Außerdem komme ich schnell von 0 auf 100”, berichtet die junge Frau.

So spät die FAS-Diagnose – das war ein Schock für Elvira. Auch wenn sie ihr hinsichtlich der Sprüche ihrer Mutter die Augen öffnete. Denn die Mutter hatte von ihr immer als dem “behinderten Kind” gesprochen. Man müsse bei ihr immer fünf Jahre zurückrechnen, da sie zurückentwickelt sei. Elvira: “Ich selber habe nie verstanden, was sie damit meinte und warum. Aber ich habe es ihr immer geglaubt, dass ich bei mir wirklich fünf Jahre zurückrechnen muss. Ich ertappe mich manchmal sogar immer noch dabei.” Elvira war als Kind selbst aufgefallen, dass sie stundenlang für fünf Matheaufgaben brauchte, manchmal sogar einen Tag. Und dass sie es als Qual empfunden hatte davor sitzen zu müssen, oder in der Schule ein Gedicht auswendig lernen musste – “der reinste Horror für mich.” Aber einordnen hatte sie ihre Defizite nicht können.

Tja, nun hatte Elvira zwar die Diagnose bzw. einen Schwerbehindertenausweis in der Tasche, aber wie sollte es weitergehen? Zunächst erbarmte sich einer ihrer drei deutlich älteren Brüder. Dieser sei aber hoffnungslos überfordert gewesen mit ihr. Elvira: “Wir haben uns nur gestritten.” Er habe sie dann ins Heim oder Internat stecken wollen. Das wollte Elvira auf gar keinen Fall und bettelte so lange, bis ihre Tante ein Einsehen hatte und Elvira bis zu ihrem 18. Geburtstag bei sich aufnahm. “Sie war die einzige, die trotz aller negativer Dinge, die über mich erzählt wurden, nie an mir gezweifelt hat. Und sie hat mich sehr verwöhnt, als ich bei ihr gewohnt habe” erinnert sich Elvira. In der Oberschule fand sie dann endlich auch eine Freundin, die sie seitdem an ihrer Seite weiß und ihr als beste Freundin durch manche schwierige Lebensphase hindurch geholfen hat.

Mit Beginn des Erwachsenenalters wollte Elvira möglichst schnell ihre eigenen Wege gehen. Sie schlingerte zunächst ganz ordentlich. Aber als ihr Sohn geboren wurde, bekam ihr Leben einen positiven Sinn. Die junge Mutter sagte zu sich selber: “Ich werde wirklich alles anders machen als meine Mutter damals.” Elvira holte und holt mit ihrem Sohn alle schönen Kindheitserlebnisse nach, die sie so selbst nie hatte und genießt ein zufriedenes und erfülltes Leben. Die glückliche und fröhliche Mama lebt mit ihrem Freund und Söhnchen zusammen in einer Drei-Zimmer-Wohnung, arbeitet als gelernte Hauswirtschaftshelferin im Öffentlichen Dienst, spielt gerne Tischtennis und Badminton und geht gerne ins Kino.

Zum Abschluss möchte Elvira noch einen Appell loswerden: “Kinder sollten in der Schule besser darüber aufgeklärt werden, dass sie das Recht haben aus ihren Alkoholikerfamilien herauszukommen. Sie sollten von Erziehern und Lehrern, die die Situation im Elternhaus kennen, bestärkt werden. Es sollte ihnen Mut zugesprochen werden, solch einen (sicherlich schwierigen, aber wichtigen) Schritt zu gehen.”

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Fein feiern und dabei aufklären

Fein feiern und schwanger sein – das muss sich nicht ausschließen. Im Gegenteil. Damit sich Schwangere während dieser besonderen Zeit genauso zum Leben dazugehörig fühlen, hat unser neuer Kampagnen-Partner Dr. Höhl’s 2017 einen 100 Prozent alkoholfreien POMP Sekt in zwei Varianten kreiert, der Schwangere unbesorgt fein feiern lässt. Und weil der sympathische Familie aus Hessen auch die Aufklärung über die Gefahren von Alkohol in der Schwangerschaft sehr am Herzen liegt, engagieren sie sich zu unserer großen Freude seit diesem Oktober aus vollster Überzeugung und mit Leidenschaft für unsere Kampagne HAPPY BABY NO ALCOHOL.

Ihr wollt die Aufklärungskampagne nachhaltig unterstützen. Was war der Auslöser für Euer Engagement?

Zunächst haben wir ganz zufällig von der Kampagne auf Instagram erfahren, als wir nach # für unseren alkoholfreien Aperitif POMP Grande Cuvée 0,0 recherchiert haben. Das hat uns neugierig gemacht und gleichzeitig schockiert! Wir dachten nicht, dass mögliche Folgen von Schwangerschaft und Alkohol im Jahr 2019 noch immer nicht bei allen Schwangeren präsent sind. Da wir das Engagement über FAS als wichtig und sehr sinnhaft empfinden, möchten wir gerne dazu beitragen, dass die Aufklärungsarbeit ausgeweitet wird. Es ist uns ein Anliegen, dass sich Schwangere auch ohne Alkohol zugehörig fühlen können und eine leckere Alternative zu alkoholfreiem Sekt kennenlernen.

Was habt Ihr in Eurem Umfeld zum Thema Alkohol in der Schwangerschaft bisher erlebt?

Johannes’ Frau Christina hat in beiden Schwangerschaften zu 100 % auf Alkohol verzichtet. Das fällt natürlich leichter, weil sie „ihren eigenen alkoholfreien Sekt“ von unserer Familie hat, mit dem sie anstoßen kann. Dass das leider nicht die Regel ist, haben wir selbst im Bekanntenkreis schon häufig beobachten müssen: „ Das eine Gläschen Sekt schadet doch nicht. Haben unsere Mütter doch auch so gemacht.“ Wir empfinden dieses Verhalten nicht okay, obwohl wir selbst auch alkoholhaltige POMP Cuvées anbieten.

Seid Ihr Euch der Ausmaße des Fetalen Alkoholsyndroms bewusst gewesen?

Ein klares Nein! Christina hatte sich da sehr belesen und mit dem Thema FAS in ihrer ersten Schwangerschaft auseinandergesetzt. Wir anderen haben das aber bisher auch nicht so vor Augen gehabt, bis wir die ganzen Fakten der Aufklärungskampagne gesehen haben. Bei allem was in der Schwangerschaft passieren kann worauf man keinen Einfluß hat, finden wir es selbst nur richtig, einem neuen Leben von Anfang soviel Gutes zu tun, wie nur möglich. Und das hat man ja selbst in der Hand, ob man zum Anstoßen etwas alkoholfreies nimmt, oder eben nicht.

Ihr blickt auf eine 240jährige Familiengeschichte. Traditionell wurden alkoholische Apfelweine und Sekt Cuvées aus Äpfeln von Streuobstwiesen und Rieslingtrauben aus dem nahe gelegenen Rheingau produziert. Seit neuestem gibt es den alkoholfreien POMP-Sekt. Was gab den Anstoß?

Christina wurde 2016 mit Christian, unserer 10. Generation, schwanger. Da hatte Johanna, unser Familienoberhaupt und werdende Oma die Idee, einen alkoholfreien Sekt oder Aperitif zu entwickeln. Alles was es bisher auf dem Markt gib, was uns als Familie zu süß, pappig oder künstlich. Wir wollten eine echte Alternative schaffen, die vor allem richtig gut schmeckt, gesund ist (POMP 0,0 ist biozertifizert und ohne jeglicheZusätze, auch ohne Zucker), und einen schönen Sektmoment ins Glas zaubert. Freundinnen, die in den Jahren darauf schwanger waren, sind auch nach der Schwangerschaft noch Fans von unseren mittlerweile zwei Sorten POMP 0,0, die eine tolle Alternative zu alkoholfreiem Sekt geworden sind.

Die Verunsicherung bei Schwangeren ist oft groß, ob denn der alkoholfreie Sekt tatsächlich alkoholfrei ist. Viele Produzenten werben mit alkoholfreien Getränken, in denen aber bis 0,5 % Alkohol enthalten sind. Ihr garantiert 0,0 % Alkohol!

Ja, das finden wir selbst auch höchst suspekt, dass man in Deutschland auf dem Etikett „alkoholfrei“ schreiben darf, selbst wenn Restalkohol im Sekt oder Bier enthalten ist. Beide POMP 0,0 Aperitifs sind komplett alkoholfrei. Wie das geht? Es sind aufwändige Cuvées aus 21 verschiedenen Früchten und Kräutern und Gewürzen – wie Kurkuma, Ingwer – kombiniert mit Gurke beim feinherben POMP und mit Chili, Rosenblüte, Apfelessig und Ginseng bei der fruchtigen Variante. Wir mischen also natürliche Säfte und geben keinen Zucker dazu. Damit basieren die alkoholfreien POMP Cuvées nicht auf endalkoholisierten Weinen wie übliche alkoholfreie Sektsorten im Handel.

Interview: Dagmar Elsen

Beim Stillen: Das Baby trinkt mit

Will ich meine Kliniktasche packen, stoße ich schon beim Abklappern der Ratgeber für werdende Mamas im Internet auf erstaunliche Ratschläge. Unter “Sonstiges steht neben Entspannungsmusik, Bonbons und Smartphone tatsächlich auch die “kleine Flasche Sekt zum Anstoßen nach der Geburt” auf der Liste der Dinge, die man auf jeden Fall dabei haben sollte.

Und nicht nur zum Anstoßen soll der Sekt gedacht sein. Nein, “Wein und Sekt fördert die Milchbildung und schadet nicht”, heißt es landauf landab immer wieder.

Diesen “Bullshit”, anders kann man es beileibe in den heutigen Zeiten und nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen (wobei anzumerken sei, dass die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über ein Jahrzehnt zurückliegen) nicht anders nennen, greifen unsere Kampagnen-Botschafterinnen, gleichsam professionelle Stillberaterinnen so wie Scarlett Highley aus Hannover nur allzu gerne auf*.

Ach ja, und erst kürzlich wieder ließ ein Kinderarzt verlauten, dass der Mutterkuchen den Alkohol abfange.

Man kann nicht umhin zu dem Schluss zu kommen: Erklärung tut tatsächlich Not.

Fakt ist: Das Baby trinkt mit. Konsumiert die Mutter Alkohol, so gelangt der Alkohol über ihren Verdauungstrakt ins Blut und von dort weiter in die Muttermilch. Alkohol wird hauptsächlich in der Leber abgebaut. Auch bei Säuglingen ist die Leber immer noch nicht richtig ausgereift. Das bedeutet, dass die Aktivität der Enzyme im Vergleich zu einer erwachsenen Leber deutlich geringer ist. Heißt: Der Alkohol wird bei den Säuglingen viel langsamer abgebaut und bleibt demzufolge auch viel länger in ihrem kleinen Körper.

Was sind die Folgen?

In Studien wurde nachgewiesen, dass Alkoholkonsum über die Muttermilch den Schlafrhythmus der Säuglinge stören kann. Es wurde beobachtet, dass die Babys deutlich kürzere “ruhige Schlafphasen” und insgesamt einen leichteren Schlaf hatten. Gleichzeitig waren die Wach- und Schreiphasen länger.

Damit nicht genug:

Nach dem Genuss von Alkohol kann es zu einer Verringerung der Milchmenge kommen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass schon der Konsum kleiner Mengen Alkohol die Ausschüttung mütterlicher Hormone hervorruft – aber eben nicht dazu führt, dass die Milchbildung angeregt wird, sondern: Das Gegenteil ist der Fall. Unsere Botschafterin und Stillberaterin Anne Heinzig** aus München erklärt: “Alkohol hemmt die Oxytocinfreisetzung. Das Oxytocin ist ein wichtiges Hormon, welches für den Milchspendereflex wichtig ist. Es kann also gut sein, dass der Alkohol entspannen lässt, ABER er verzögert den Milchspendereflex.”

Das wiederum hat bei vielen stillenden Müttern zur Folge, dass sie über wunde Brustwarzen klagen, berichtet das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in seinem Wissenschaftsreport zu “Alkohol in der Stillzeit”.

Gibt es denn eine sichere Grenze für einen Alkoholkonsum in der Stillzeit?

Nein, keine, die wissenschaftlich nachgewiesen ist. Deshalb gilt: “Für die Gesundheit von Mutter und Kind ist es deshalb am sichersten, in der Stillzeit auf Alkohol zu verzichten”, heißt z.B. der Ratschlag im Konsensuspapier von “Gesund ins Leben”.

So weit, so gut. Aber, dann steht da weiter zu lesen: “dass, allenfalls zu besonderen Anlässenein kleines Glas Wein, Bier oder Sekt tolerierbar ist, wenn ein früheres Abstillen die Alternative ist.”

Nach einem ersten erstaunten Stirnrunzeln wird klar: Es soll verhindert werden, dass stillende Mütter nur deshalb aufhörendem Säugling die so wichtige Muttermilch zu verwehren, bloß um auch hin und wieder mitfeiern zu können und nicht mit dem ewig schnöden alkoholfreien O-Saft in der Hand geschmäht vom Rest der Hochzeitsgesellschaft in der Ecke stehen zu müssen.

ABER – Die gute Nachricht: Das Stillen lässt sich planen

Stillberaterin und ebenso Kampagnen-Botschafterin Bärbel Aab*** aus Regenstauf rät: “Am besten erst stillen, dann etwas trinken und eine möglichst lange Pause von mehreren Stunden machen, bevor man wieder stillt.” Ideal ist es natürlich, wenn vor dem Alkoholkonsum Milch abgepumpt worden ist, die man im Kühlschrank für derlei Fälle bereit hält.

Bleibt die Frage zu klären: Wann darf nach dem Alkoholgenuss wieder gestillt werden?

Dazu muss man wissen, dass die Alkoholkonzentration im Blut in etwa parallel zu der Alkoholkonzentration in der Muttermilch ansteigt! Also kann man sagen: In etwa 30 Minuten nach dem Alkoholkonsum ist die größte Menge des Alkohols in der Muttermilch angekommen. Natürlich, das sei an dieser Stelle anzumerken, ist es maßgebend, ob die Mutter vor oder während des Alkolokonsumgegessen hat und wieviel. Denn mit Essen verzögert sich der Alkoholabbau in aller Regel. Und, ebenso entscheidend: Welcher Konstitution, welcher Verfassung ist die Mutter? Ist sie körperlich geschwächt, gestresst, schlechter seelischer Verfassung? Nicht zuletzt ist das Gewicht der Mutter von Bedeutung.

Was passiert dem Baby eigentlich, wenn die stillende Mutter Alkohol trinkt?

Alkohol ist ein Zellgift und kann die kindliche Entwicklung beeinträchtigen. Betroffen ist insbesondere das Gehirn. Die Leber ist beim Säugling noch nicht so ausgebildet ist wie die eines erwachsenen Menschen. Das führt dazu, dass das Baby dem Alkohol länger ausgesetzt wird. Ab welcher Dosis es für das Baby problematisch wird, ist medizinisch nicht eindeutig belegt. Größere Mengen Alkohol sowie ein regelmäßiger Konsum sollten jedoch definitiv vermieden werden, raten alle Experten, so beispielsweise in einem im renommierten US-amerikanischen “Breastfeeding Medicine” veröffentlichten Artikel.

Nachgewiesen ist, dass Alkohol die Schlafzeiten des Babys verkürzt. Zudem verändert Alkohol die Zusammensetzung, den Geruch, und, wie schon gesagt, die Menge der Muttermilch. Aufgrund dessen trinken die Kinder weniger, nehmen langsamer zu und sind oft auch unruhiger.

Noch eine Anmerkung zu Neugeborenen: Bis zum Ende des ersten Monats, da das Baby das Licht der Welt erblickt hat, sollte die Mama besser gar keinen Alkohol trinken. Neugeborene haben oft ganz unerwartet Hunger, so dass eine Zeitplanung unmöglich wird. Außerdem muss sich die Milchproduktion erst einpendeln und reagiert sensibel auf Alkohol.

*www.klecker-lecker.de

**www.stillberatungheinzig.de

***www.ergotherapie-stillberatung-regenstauf.de

Ein im Zusammenhang stehendes und stark nachgefragtes Thema: www.happy-baby-no-alcohol.de/2019/04/20/natuerlicher-alkohol-ist-kein-aufreger-aber-bitte-wohldosiert/

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Therapie-Serie – “Achtet auf das, was gut tut!” – Teil 5 : Logopädie –

Das Fetale Alkoholsyndrom bringt nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen insgesamt 419 verschiedene Symptome hervor. Dazu zählen körperliche Beeinträchtigungen wie auch neurologische Entwicklungsstörungen. Die neurologischen Defizite sind nicht heilbar, die Betroffenen haben ein Leben lang mit den Auswirkungen zu kämpfen. Es ist jedoch möglich, die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe von Therapien zu fördern.

Um bei der allgemeinen Flut von Therapieangeboten einen Überblick zu bekommen, welche Therapien sinnvoll sein können, haben wir unsere Botschafterin, die Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters, gebeten eine Auswahl zu treffen. Entstanden ist eine “Therapie-Serie”, deren Staffeln wir in loser Abfolge online stellen.

Grundsätzliches für jede Therapieplanung

Annika Rötters: “Das wichtigste überhaupt ist: Achtet auf das, was gut tut!”

Die Störungen der alkoholgeschädigten Kinder und Jugendlichen sind individuell, so dass es für die Therapieplanung notwendig ist, für jeden Patienten das Passende bzw. die passende Kombination zu finden. Dabei ist ‘mehr’ nicht unbedingt ‘besser’. Bedingt durch das Spektrum der Schädigungen und die oft damit einhergehende Intelligenzminderung sowie die schnelle bzw. schnellere Reizüberflutung, möchte ich mich dafür aussprechen, nicht zu viel auf einmal anzugehen. Es sollte immer im Fokus behalten werden, dass eine Tendenz zur Überforderung besteht, die es zu verhindern gilt.

Nach meiner Erfahrung mit ‘besonderen Kindern’ kann ich empfehlen: Nicht zu viele Termine – und nicht mehr als einen Termin (egal ob Diagnostik oder Therapie) pro Tag und keinesfalls mehr als zwei pro Woche. Termine sind für alle anstrengend, und das, was innerhalb eines Termines geschieht, muss in ausreichender Zeit verarbeitet werden können. Notfälle sind von dieser Empfehlung natürlich ausgenommen.

Termine sollten außerdem so geplant werden, dass sie in den Tagesablauf des Patienten passen. Es darf beispielsweise nicht sein, dass für einen Termin der Mittagsschlaf geopfert wird.

Nicht zuletzt sollte der Therapieplan individuell mit den jeweiligen Ärzten und Therapeuten des Vertrauens auf den Patienten abgestimmt werden.”

Logopädie

Alles, was mit Sprache und Sprechen, der Stimme, Kommunikation, Schlucken, dem Hören, der Gesichts- und Mundmotorik zu tun hat, fällt unter die Kategorie Logopädie. Die Therapieform gehört zur Gattung der Sprachheilkunde.

Indiziert ist sie zum Beispiel bei Fehlbildungen des Gesichts, des Kiefers, des Schädels, bei Schluckbeschwerden oder -störungen, bei Beeinträchtigungen und Verzögerungen der Sprachentwicklung. Ein Klassiker, den viele kennen: das Lispeln.

Annika Rötters erklärt: “Je nach individuellem Bedarf gibt es verschiedene Herangehensweisen und logopädische ‘Schulen’ (beispielsweise Castillo Morales*), bei denen es sich um Zusatzqualifikationen im Rahmen der Sprachheilkunde handelt.

Die therapeutischen Übungen werden während den Sitzungen erarbeitet – mit Kindern spielerisch – und zum selbständigen Üben mit nach Hause gegeben.”

Wie bei anderen Therapieformen auch, ist es nicht zwangsläufig sinnvoll, erst eine Entwicklungsverzögerung abzuwarten. Besser, so die Psychologin: “Logopädie präventiv einsetzen, wenn absehbar ist, dass es zu Schwierigkeiten kommen wird. Das ist vor allem bei Sprachentwicklungsstörungen zu beachten, da hier das Risiko besteht, dass die Kinder eine Lese-Rechtschreibschwäche entwickeln. Hilfreich ist hier die konzeptuelle Einbindung beispielsweise eines Frühförderzentrums.

Manche Kindergärten und Schulen sind an logopädische Praxen angeschlossen, so dass die Kinder in ihrem Alltag spielerisch gefördert werden können.”

Worauf muss geachtet werden?

Neben der beruflichen Qualifikation des geprüften Logopäden ist von Bedeutung, dass Patient und Therapeut zueinander passen.

Tipp für die Suche nach einem Logopäden: www.dbl-ev.de/service ist eine Suchmaschine des Deutschen Bundesverbandes für Logopädie e.V., der nach der Eingabe der Postleitzahl die entsprechenden Adressen auspuckt.

Achtung:Je nach Art und Schwere des Krankheitsbildes wird die Art und Anzahl der Behandlung vom Arzt festgelegt und verordnet, so dass die Krankenkasse die Kosten üblicherweise übernimmt.

 

Die Therapie-Serie auf einen Blick:

1. Tiergestützte Therapie

2. Musiktherapie

3. Physiotherapie

4. Ergotherapie

5. Logopädie

6. Motopädie

7. Psychotherapie

8. Ernährungstherapie

9. Neurofeedback

*www.castillomaroalesvereinigung.de

Informationen zur Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters: www.psychotrainment.de

Autorin: Dagmar Elsen

“Es wurde nichts beschönigt, es wurde nichts verschwiegen. Das ist elementar!”

Als der kleine Nick* im Alter von knapp drei Jahren bei seinen Pflegeeltern Isabel* und Paul* einzog, da war das Fetale Alkoholsyndrom (FAS) bei ihm schon diagnosdiziert. “Wir haben alle Informationen über ihn erhalten. Uns wurden alle Berichte vorgelegt und das Krankheitsbild nochmals ganz genau erklärt. Es wurde nichts beschönigt, es wurde nichts verschwiegen”, sagt die 30 Jahre alte Pflegemutter. Für sie eine elementare Voraussetzung, sonst seien Pflegschaften oder Adoptionen für alle Beteiligten leidvoll und oft genug zum Scheitern verurteilt.

Es macht Isabel wütend, dass die Jugendämter nicht generell aufklärten, dass die Pflege- und Adoptivkinder FAS haben können. Die können gar nicht versprechen, dass die Kinder gesund sind, weil niemand sagen kann, ob die Mutter tatsächlich während der Schwangerschaft keinen Alkohol getrunken hat.”

Isabel und ihr 31jähriger Partner wissen das aus eigener Erfahrung. Die biologische Mutter ihres Sohnes streitet bis heute ab, als Schwangere Alkohol konsumiert zu haben.

Dabei hatte Nick schon nach der Geburt ausreichende optische Anzeichen, im Mutterleib von Alkohol geschädigt worden zu sein: verkürzter Nasenrücken, schmale Augenlidpartie, flaches Philtrum, eine nicht ausgebildete Ohrmuschel, dünne Oberlippe sowie körperlich extrem klein und dünn.

Kein Verdacht der Ärzte? Offensichtlich zunächst einmal nicht. Isabel erinnert sich: “Die Leiterin des Babyschutzes, in das das Baby mit einem Jahr kam, war es, die sofort skeptisch wurde und mit ihrem Verdacht auf FAS nicht locker ließ. Aber erst nachdem sie den Kinderarzt gewechselt hatte, öffnete sich der Weg zur richtigen Diagnose, die in der Fachklinik Walstedde vorgenommen wurde.

Der kleine Nick zeigte und zeigt sich obendrein zunehmend verhaltensauffällig wie auch entwicklungsrückständig. Eine extreme Bindungsstörung fiel schon im Babyschutz auf. Dieser legte sich aber im trauten Familienheim Nick’s neuer Eltern in kürzester Zeit – “für Nick war sofort klar, dass wir seine neue Mama und Papa waren”. Besonders belastend war für alle die Autoaggressivität, indem Nick penetrant mit dem Kopf gegen die Wand schlug und gegen tote Gegenstände rannte. Das sei sehr viel besser geworden. Auch haue und trete er kaum noch. “Er begreift inzwischen, dass das anderen genauso weh tut wie ihm, wenn ich ihm das erkläre”, berichtet seine Pflegemama.

Nach wie vor anstrengend ist seine “Frustrationsgrenze, die bei minus 100 liegt”. Da müsse er nur die Socke nicht richtig angezogen bekommen, dann ist das Theater groß. “Da bringt er mich schon auch zur Weißglut”, gesteht Isabel. Das sei manchmal wirklich schwierig auszuhalten. Ihre Strategie: Sie schnappt sich den kleinen Kerl und geht mit ihm und dem Hund, einem dem Kind gut tuenden Labrador, in den Wald. Die Stille und Ruhe der Natur sorgen für den notwendigen Ausgleich und wirkten beruhigend für alle.

Fortschritte macht der inzwischen Vierjährige auch mit seinem stark defizitären Sprachzentrum. “Als er mit knapp drei Jahren zu uns kam, konnte er nur fünf Worte sprechen: “Mama, Papa, Eis, Auto, ja und nein”, berichtet Isabel, “inzwischen redet er wie ein Wasserfall, auch wenn es nicht immer so klappt und Außenstehende Probleme haben ihn zu verstehen, weil er beispielsweise dielen statt spielen sagt.” Ebenso positiv entwickeln sich seine motorischen Fähigkeiten. “Nick konnte die Balance nicht halten und ist oft hingefallen”, erzählt die 30jährige. Er sei zwar immer noch tolpatschig, aber vieles Schwimmen gehen habe ihm sehr geholfen.

Nicht zuletzt entwickle sich langsam, aber dennoch postiv, sein emotionales Empfindungsvermögen. “Nick ist stark traumatisiert durch seine leiblichen Eltern”, sagt die Pflegemutter. Beim Besuchskontakt habe Nick sofort autoaggressiv reagiert. Wenn der Vater hereingekommen war, dann habe Nick mit seinem Kopf gegen die Wand geschlagen. Isabel: “Die darauffolgende Nacht hat er durchgebrüllt.” Insofern sind seine Pflegeeltern froh, dass die leiblichen Eltern inzwischen kein Interesse mehr haben ihren Sohn zu sehen. Es entspannt die sowieso schon herausfordende Pflege und Fürsorge des Jungen.

“Ja”, gibt Isabel zu, “ich habe mich oft überfordert gefühlt und bin es auch noch oft genug.” Wichtig sei, dass man sich das eingestehe, denn es sei menschlich. Und dass man zulasse, das Kind auch mal wegzugeben, damit man verschnaufen könne. “Anfangs hatte ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich ihn zu meiner Mutter gebracht habe. Ich hatte das Gefühl, ich schiebe ihn ab”, gesteht Isabel. Inzwischen hat sich das jedoch gelegt, zumal der Junge sowieso gerne zu seiner Oma geht.

Gut tut den Pflegeeltern obendrein die engagierte Anbindung an den freien Träger “Perspektive” in Dorsten: “Einmal wöchentlich telefonieren wir mit unserer Fachberaterin, einmal im Monat kommt sie zum Hausbesuch.”

Therapeutische Unterstützung für das Kind gibt es ganz selbstverständlich: “Wir haben noch um gar nichts kämpfen müssen”, konstatiert Isabel, wie man es sonst so oft höre und lese. Nick bekomme im additiven Kindergarten Logo, Ergo und Physio, außerdem eine tiefenanalytische Psychotherapie. Demnächst darf Nick auch zum therapeutischen Reiten. “Da freut er sich sehr darauf, das kennt er schon”, weiß seine Pflegemama.

Insgesamt also beste Voraussetzungen, um, so wie es sich das Elternpaar vorgenommen hatte, einem benachteiligten Kind eine Perspektive geben zu können. Dennoch umtreiben Paul und Isabel Sorgen und Ängste: Wird Nick es jemals schaffen, ein einigermaßen eigenständiges Leben zu führen? Wird er einen Job finden, der seinen Neigungen und Talenten entspricht? Wird er imstande sein Beziehungen zu führen?

Der Weg dorthin ist noch weit und steinig. Vor allem krankt es nach Isabel in unserer Gesellschaft daran, dass die Masse der Menschen noch nie vom Fetalen Alkoholsyndrom gehört hat. Das haben Isabel und Paul in ihrem eigenen Umfeld exakt so erlebt. Daraus ergäbe sich zudem, dass viele Menschen gar nicht wüssten, dass ihr Kind unter FAS leide. Das müsse sich dringend ändern, findet Isabel. Und selbst wenn eine Diagnose gestellt sei, würden viele Betroffene nicht darauf hingewiesen, dass diese Kinder einen Anspruch haben auf Pflegegrad und einen Behindertenausweis.

Und noch etwas verärgert Isabel: “Die meisten Personen des öffentlichen Lebens engagieren sich für Kinder in der Dritten Welt. Das ist auch gut und wichtig. Aber auch hier in Deutschland, Europa, den USA, gibt es Probleme. Ich würde mir wünschen, dass die Prominenten ihre Reichweite auch genau für dieses Thema hier nutzen.”

*Namen geändert

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Therapie-Serie – “Achtet auf das, was gut tut!” – Teil 4 : Ergotherapie –

Das Fetale Alkoholsyndrom bringt nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen insgesamt 419 verschiedene Symptome hervor. Dazu zählen körperliche Beeinträchtigungen wie auch neurologische Entwicklungsstörungen. Die neurologischen Defizite sind nicht heilbar, die Betroffenen haben ein Leben lang mit den Auswirkungen zu kämpfen. Es ist jedoch möglich, die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe von Therapien zu fördern. Um bei der allgemeinen Flut von Therapieangeboten einen Überblick zu bekommen, welche Therapien sinnvoll sein können, haben wir unsere Botschafterin, die Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters, gebeten, eine Auswahl zu treffen. Entstanden ist eine “Therapie-Serie”, deren Staffeln wir in loser Abfolge online stellen.

Grundsätzliches für jede Therapieplanung

Annika Rötters: “Das wichtigste überhaupt ist: Achtet auf das, was gut tut!

“Die Störungen der alkoholgeschädigten Kinder und Jugendlichen sind individuell, so dass es für die Therapieplanung notwendig ist, für jeden Patienten das Passende bzw. die passende Kombination zu finden. Dabei ist ‘mehr’ nicht unbedingt ‘besser’. Bedingt durch das Spektrum der Schädigungen und die oft damit einhergehende Intelligenzminderung sowie die schnelle bzw. schnellere Reizüberflutung, möchte ich mich dafür aussprechen, nicht zu viel auf einmal anzugehen. Es sollte immer im Fokus behalten werden, dass eine Tendenz zur Überforderung besteht, die es zu verhindern gilt.

Nach meiner Erfahrung mit ‘besonderen Kindern’ kann ich empfehlen: Nicht zu viele Termine – und nicht mehr als einen Termin (egal ob Diagnostik oder Therapie) pro Tag und keinesfalls mehr als zwei pro Woche. Termine sind für alle anstrengend, und das, was innerhalb eines Termines geschieht, muss in ausreichender Zeit verarbeitet werden können. Notfälle sind von dieser Empfehlung natürlich ausgenommen.

Termine sollten außerdem so geplant werden, dass sie in den Tagesablauf des Patienten passen. Es darf beispielsweise nicht sein, dass für einen Termin der Mittagsschlaf geopfert wird. Nicht zuletzt sollte der Therapieplan individuell mit den jeweiligen Ärzten und Therapeuten des Vertrauens auf den Patienten abgestimmt werden.”

Ergotherapie

“Im zentralen Fokus der Ergotherapie steht die Förderung der Handlungskompetenz”, stellt Annika Rötters fest. Sie findet bei vielen Krankheitsbildern Anwendung:

+ Entwicklungsstörungen oder -verzögerungen

+ Wahrnehmungsstörungen, wenn Informationen im Gehirn anders verwertet und bewertet werden

+ körperliche Behinderungen

+ grapho-motorische Störungen

+ Seh- und Hörstörungen

+ ADHS

+ Autismus

 

Sensorische Integration

Ein Spezialfeld der Ergotherapie ist die sensorische Integration, die besonders bei körperlichen Wahrnehmungsstörungen indiziert ist. “Hier werden unterschiedliche Sinnesqualitäten und -systeme koordiniert. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Verbesserung der sensorischen Integration. Dafür werden soziale Beziehungen wie räumliche Beziehungen betrachtet. So kann beispielsweise eine muskuläre Grundspannung (ein angespanntes Erscheinungsbild des Kindes) durch Beschleunigung wie Skateboard-Fahren oder Trampolin springen erlebbar gemacht werden. Die Übungen sollen den Patienten darin fördern, einen konstruktiven Umgang mit dem eigenen Körper zu stärken. Therapeutisches Reiten ist oft gut in das Therapiekonzept zu integrieren”, erläutert Annika Rötters.

Wichtig: “Geht es um Entwicklungsverzögerungen, ist es, wie bei anderen Therapieformen auch, nicht zwangsläufig sinnvoll, erst solche abzuwarten. Vielmehr macht es Sinn, die Ergotherapie präventiv einzusetzen”, rät die Diplom-Psychologin. Und: “Die Therapie ist in der Regel nondirektiv, was bedeutet, dass der Patient die Richtung vorgibt.”

Worauf muss geachtet werden?

Mit Kindern sollten speziell ausgebildete Kinderergotherapeuten aufgesucht werden. Hilfreich ist häufig auch die Anbindung an ein Frühförderzentrum. Neben der beruflichen Qualifikation ist für den bestmöglichen Erfolg der Therapie wichtig, dass Therapeut und Patient zueinander passen.

ACHTUNG: Ergotherapie muss als therapeutische Maßnahme von einem Arzt verordnet werden. Der sogenannte Indikationsschlüssel, eine Buchstaben- und Zahlenkombination, die der Arzt auf dem Rezept angibt, bezeichnet den medizinischen Grund für den Einsatz der Ergotherapie. Fehlende Angaben darf der Therapeut gar nicht beziehungsweise nur in Absprache mit dem Arzt ergänzen.

 

Die Therapie-Serie auf einen Blick:

1. Tiergestützte Therapie

2. Musiktherapie

3. Physiotherapie

4. Ergotherapie

5. Logopädie

6. Motopädie

7. Psychotherapie

8. Ernährungstherapie

9. Neurofeedback

 

Informationen zur Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters: www.psychotrainment.de

Autorin: Dagmar Elsen

Wären Sie mal früher gekommen

Wie kann es sein, dass alle gewusst haben, dass meine Mutter Alkoholikerin und drogenabhängig war und das schon vor ihrer Schwangerschaft, und keiner hat etwas unternommen? Das kann und will die 24 Jahre alte Sandra* nicht begreifen. Alle, dass sind für Sandra die Mitarbeiter des Sozialamtes, des Jugendamtes, die Ärzte, die Familie,die Nachbarn; im Grunde alle, die sie sahen und erlebten.

Dass dem so gewesen sein muss, hat sie in den schriftlichen Unterlagen über sich nachgelesen. Erst als Sandra mit gut einem Jahr alt völlig verwahrlost, unterernährt und mit einer schlimmen Kopfverletzung in der Leipziger Kliniknotaufnahme abgegeben worden war, wurde gehandelt. “Ich war in einem so schlechten Zustand, dass man nicht einmal sicher war, ob ich es schaffen würde”, erzählt die Leipzigerin, “meine Mutter hatte mich nur mit Süßigkeiten gefüttert.”

Der kleine Wurm Sandra kämpfte sich durch und landete nach der Klinik zunächst in einem Kinderheim. Von dort ging es zu ihrer Tante, die mit ihrem Mann eigene Kinder hatteNach drei Monaten gab sie mit der Situation überfordert auf, denn Sandra benötigt besondere Aufmerksamkeit und Teilnahme. Inzwischen zwei Jahre alt, kam Sandra nun zu Pflegeeltern. Endlich kehrte Ruhe ein. Die Pflegeeltern, die keine eigenen Kinder bekommen konnten, gaben alles, damit es Sandra gut ging und sie sich gut entwickelte. “Ich bin sehr behütet aufgewachsen”, sagt Sandra.

ABER! Da taucht es sofort auf, dieses unausweichliche ABER, wenn es um Alkohol in der Schwangerschaft geht, ob in großen Mengen konsumiert, oder kleinen. “Ich hatte eine Menge Probleme und die sind mit dem Alter immer schlimmer geworden”, berichtet die 24jährige. Es begann mit Verhaltensauffälligkeiten: hohe Aggressivität, extreme Wutausbrüche, emotionale Achterbahnfahrten, schlechtes Kurzzeitgedächtnis, ständige Diskussionen um alles mögliche, Antriebslosigkeit. Hinzu kamen Schlafstörungen, die Schwierigkeit den Fokus zu halten sowie eine gestörte Gefühlswahrnehmung. “Ich habe als Kind gebissen, um meine Zuneigung zu zeigen”, erinnert sich Sandra.

In der Schule zeigte sich alsbald, dass das Mädchen große Schwierigkeiten in Mathe hatte – Kopfrechnen beispielsweise geht bis heute nicht, weil Sandra sich keine Zahlen vorstellen kann. Es wurde eine Dyskalkulie diagnostiziertAuch das räumliche Denken ist deutlich unterentwickeltgenauso wie das Gefühl für Zeit. Ebensoder Umgang mit Geld wurde zum leidigen Thema. Mal funktioniere es, dann wieder lege sich urplötzlich ein imaginärer Schalter um, sagt sie. Obendrein ecke Sandra gerne an, weil sie über ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden verfüge, vieles anders sehe als andere und das nur allzu deutlich kundtue.

Ahnungslos und wohlmeinend wie die Pflegeeltern seinerzeit waren, setzte vor allem die Mutter, eine Lehrerin, das Mädchen unter Leistungsdruck. Sie sollte doch wenigstens den Hauptschulabschluss schaffen. “Meine Noten hat eigentlich meine Mutter geschrieben”, gesteht die 24jährige.

Der ständige Leistungsdruck blieb nicht folgenlos. Sandra rebellierte immer mehr, war kaum zu bändigen. Die Ärzte äußerten aufgrund “minimaler Anzeichen” den Verdacht auf ADHS.

Das Verhältnis zu ihrer Pflegemutter wurde zusehends schlechter. Hinzu kam, dass Sandra’s leibliche Mutter verstarb. Für die damals9jährige ein heftiger Schlag.Hatte sie doch stets die Hoffnung im Herzen getragen, eines Tages zu ihrer leiblichen Mutter zurückkehren zu können. “Mir ist nie richtig erklärt worden, was mit meiner Mama los ist. Sie haben mir nicht die Wahrheit gesagt. Und sie haben mich nicht auf meine Weise trauern lassen”, klagt Sandra.

Jetzt erst erfuhr sie, wie sehr drogenkrank ihre Mutter war, dass sie trotz ihrer Sucht noch drei weitere Kinder bekommen und zwei Fehlgeburtenerlitten hatte.“Wir haben alle einen anderen Vater”, weiß die 24jährige inzwischen. “Meine Pflegeelternwolltenmich beschützen”, ist Sandra heute klar, “aber es war der falsche Weg.”

Dieser führte dazu, dass Sandra das Haus ihrer Pflegeeltern verließ. Sie entschied sich für eine betreute Mädchen-Wohngemeinschaft, in der sie blieb, bis sie ihren 18. Geburtstag feierte. Die WG habe ihr gut getan, resümiert die junge Frau, sie habe ihr alle Facetten des Lebens aufgezeigt. Hier habe sie Selbständigkeit, das Erwachsen werden und den Alltag zu meistern gelernt.

Sandra’s persönliche Probleme jedoch blieben. Nur ihre Wutanfälle nahmen ab. Dafür bekam sie starkeDepressionenund Nervenzusammenbrüche, die an Intensität und Quantität zunahmen.Man verabreichte ihr Antidepressiva. Für Sandra ein Horrortrip: “Ich mutierte zu einem Zombie.” Daraufhin verweigerte sie Medikamente.

Die junge Frau kann es selbst kaum glauben, dass sie nach dem Hauptschulabschluss erfolgreich eine Lehre als Verkäuferin absolvierte. “Gefühlt wollte ich wohl fünf Mal abbrechen”, erinnert sie sich. Aber sie kämpfte sich durch und heuerte im Anschluss bei Leiharbeiterfirmen an. Eineinhalb Jahre hielt sie bei der letzten Stelle durch. Dann plötzlich streikte von jetzt auf gleich ihr Körper. Sandra brach während der Arbeit zusammen. “Seitdem bin ich arbeitslos”, berichtet sie, “ich halte keinen Druck mehr aus”.

Inzwischen lebt Sandra alleine mit ihrem Hund in einer Einzimmer-Wohnung. Er hat sie, wie sie sagt, aus ihrer tiefsten Krise geholt. Allein die Verantwortung für ihn motiviert sie, jeden Tag aus der Wohnung zu gehen, selbst wenn es ihr noch so schlecht geht. Und er spüre immer, wenn es ihr nicht gut gehe. Dann gibt er ihr Nähe und Zuneigung und sucht sie aufzumuntern. Gut tue ihr außerdem eine Gesprächstherapie, zu der sie regelmäßig geht. Und schließlich zeichnet sich auch endlich ab, was die Ursache für all ihr Unglück ist. “Ich bin gerade dabei diagnosdiziert zu werden”, erzählt die 24jährige.

Es war ihr Pflegevater, der vor einem Jahr von dem Fetalen Alkoholsyndrom gehört hatte. Er begann sich intensiv damit auseinanderzusetzen, besuchte Seminare und überredete Sandra einen entsprechenden Arzt aufzusuchen: Komm’, wir probieren es, sonst wirst Du immer nur in die Schublade geschoben, dass Du faul, dummund depressiv bist.

Als Erwachsene einen Diagnostiker für das Fetale Alkoholsyndrom zu finden und einen Termin zu bekommen – leichter gesagt als getan. “Wären Sie mal früher gekommen, haben wir zu hören bekommen”, berichtet Sandra verärgert. Inzwischen sind Pflegevater und Tochter in derUniklinik Erlangen angenommen worden und es sieht ganz danach aus, dass sich der Verdacht des Pflegevaters bestätigt. Einer der Tests hat Sandra besonders beeindruckt: “Bei einem Farbtest bin ich mit so vielen verschiedenen Farben gleichzeitig konfrontiert worden, dass ich plötzlich Lila gesagt habe, obwohl da gar kein Lila war. Mein Gehirn war vollkommen überfordert und hat die Notbremse gezogen.”

Ist die Diagnose eine Erleichterung für sie? “Nein”, stellt Sandra klar, “es ist lediglich eine Erklärung. Es ist schwierig, das anzunehmen. Ich bin immer noch am Reflektieren. Das alles zu verarbeiten, das braucht Zeit”. Für die 24jährige wird erst einmal “jeder Tag ein Kampf” bleiben. Sie hofft allerdings, dass ihr eine anstehende Medikation hilft, insbesondere ihre emotionalen Achterbahnfahrten und ihre Schlafprobleme etwas in den Griff zu bekommen.

*Name ist auf persönlichen Wunsch geändert

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Therapie-Serie – “Achtet auf das, was gut tut!” – Teil 3 : Physiotherapie –

Das Fetale Alkoholsyndrom bringt nach den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen insgesamt 419 verschiedene Symptome hervor. Dazu zählen körperliche Beeinträchtigungen wie auchneurologische Entwicklungsstörungen. Die neurologischen Defizite sind nicht heilbar, die Betroffenen haben ein Leben lang mit den Auswirkungen zu kämpfen. Es ist jedoch möglich, die Kinder und Jugendlichen mit Hilfe von Therapien zu fördern.

Um bei der allgemeinen Flut von Therapieangeboten einen Überblick zu bekommen, welche Therapien sinnvoll sein können, haben wir unsere Botschafterin, die Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters, gebeten eine Auswahl zu treffen. Entstanden ist eine “Therapie-Serie”, deren Staffeln wir in loser Abfolge online stellen.

Grundsätzliches für jede Therapieplanung

Annika Rötters: “Das wichtigste überhaupt ist: Achtet auf das, was gut tut!”

Die Störungen der alkoholgeschädigten Kinder und Jugendlichen sind individuell, so dass es für die Therapieplanung notwendig ist, für jeden Patienten das Passende bzw. die passende Kombination zu finden. Dabei ist ‘mehr’ nicht unbedingt ‘besser’. Bedingt durch das Spektrum der Schädigungen und die oft damit einhergehende Intelligenzminderung sowie die schnelle bzw. schnellere Reizüberflutung, möchte ich mich dafür aussprechen, nicht zu viel auf einmal anzugehen. Es sollte immer im Fokus behalten werden, dass eine Tendenz zur Überforderung besteht, die es zuverhindern gilt.

Nach meiner Erfahrung mit ‘besonderen Kindern’ kann ich empfehlen: Nicht zu viele Termine – und nicht mehr als einen Termin (egal ob Diagnostik oder Therapie) pro Tag und keinesfalls mehr als zwei pro Woche. Termine sind für alle anstrengend, und das, was innerhalb eines Termines geschieht, muss in ausreichender Zeit verarbeitet werden können. Notfälle sind von dieser Empfehlung natürlich ausgenommen.

Termine sollten außerdem so geplant werden, dass sie in den Tagesablauf des Patienten passen. Es darf beispielsweise nicht sein, dass für einen Termin der Mittagsschlaf geopfert wird. Nicht zuletzt sollte der Therapieplan individuell mit den jeweiligen Ärzten und Therapeuten des Vertrauens auf den Patienten abgestimmt werden.”

Physiotherapie

Viele Kinder mit vorgeburtlichen Alkoholschäden sind schon im Säuglings- und Kleinkindalter entwicklungsverzögert, weisen eine eingeschränkte Motorik auf, weil das Zusammenspiel der Muskeln nicht funktioniert. So haben sie beispielsweise Probleme beim Drehen, Krabbeln, Laufen, Greifen. Auch etwas später sind sie oft im grobmotorischen Bereich (Hüpfen, Rennen, Balancieren) und/oder im feinmotorischen (Malen, Zeichnen, Schreiben) auffällig. Nicht zuletzt gibt es häufig Kinder, die Wirbelsäulenschäden oder Fehlbildungen an den Gliedmaßen davon getragen haben. Annika Rötters: “Gerade hier ist eine regelmäßige Physiotherapie oft zentraler Bestandteil eines ganzheitlichen Therapiekonzeptes. In der Physiotherapie stehen die Bewegung und Bewegungsfähigkeit, als auch die Funktionsfähigkeit des Körpers im Vordergrund. In Form von Massagen, Krafttraining, aber auch spielerischen Übungen unterstützen die Therapeuten ihre Patienten bei der Aufrechterhaltung, dem Erlangen oder Wiedererlangen der Kontrolle über den eigenen Körper.”

Worauf muss geachtet werden?

Es gibt verschiedene therapeutische Richtungen. Welche von ihnen im Einzelfall die richtige ist und wie regelmäßig eine Behandlung notwendig ist, ist mit Rücksprache der Ärzte und Therapeuten sorgfältig abzuwägen.

ACHTUNG: Physiotherapie wird als Heilmittel gemäß dem Heilmittelkatalog verordnet; ähnlich wie ein Medikament. Je nach Art und Schwere des Krankheitsbildes wird die Art und Anzahl der Behandlung vom Arzt festgelegt und verordnet, so dass die Krankenkasse die Kosten üblicherweise übernimmt.

 

Die Therapie-Serie auf einen Blick:

1. Tiergestützte Therapie

2. Musiktherapie

3. Physiotherapie

4. Ergotherapie

5. Logopädie

6. Motopädie

7. Psychotherapie

8. Ernährungstherapie

9. Neurofeedback

 

Informationen zur Diplom-Psychologin und Dozentin Annika Rötters: www.psychotrainment.de

Autorin: Dagmar Elsen

FASD-Beratungszentrum Köln von Anbeginn stark nachgefragt

Immer wieder machen Betroffene des Fetalen Alkoholyndroms und ihre Angehörigen die Erfahrung, dass sie zwar eine fachärztliche Diagnose in den Händen halten und gegebenenfalls auch eine Medikation bekommen haben. Aber nun? Wie soll es weitergehen – zu Hause, in der Schule oder auf der Arbeit, in der Freizeit?

Jetzt sind dringend pädagogische Lösungsansätze gefragt, gibt es den nachhaltigen Wunsch nach unterstützenden Angeboten und das Bedürfnis, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Anlaufstellen, die genau das bieten, sind in Deutschland rar, obwohl der Bedarf enorm ist.

Diese Erfahrung hat auch das FASD Beratungszentrum Köln gemacht. 2015 mit Hilfe der finanziellen Unterstützung einer Stiftung und unter dem Dach der Erziehungshilfe Rheinland gGmbH gegründet, geben sich hier betroffene Eltern und ihre Schützlinge sowie andere Wegbegleiter seitdem die Klinke in die Hand. Der erste vom Fachzentrum initiierte FASD-Fachtag war innerhalb kürzester Zeit ausgebucht. Seitdem wächst das Angebotsspektrum an Arbeitskreisen, Beratungen, Hilfen und Fortbildungen unaufhörlich. Matthias Falke, Leiter des FASD-Fachzentrums, hat dazu einige Fragen beantwortet:

Welches Ihrer Angebote wird am meisten genutzt?

Matthias Falke: Unsere FASD-Arbeitskreise für Pflege- und Adoptiveltern werden sehr nachgefragt und sind ausgebucht (mit Warteliste). Dann bieten wir individuelle Beratungen an zur Pädagogik bei FASD, aber auch Unterstützung bei sozialrechtlichen Fragen oder verweisen auf medizinische Diagnoseeinrichtungen.

Darüber hinaus sind unsere jährlichen FASD-Fachtage ein anerkannter und stark nachgefragten Info-Treffpunkt für Fachkräfte der Jugendhilfe, Betreuende, Mediziner und Pädagogen. Unsere FASD-Fortbildungen für Fachkräfte der Jugendhilfe und Pflegeeltern ziehen immer weitere Kreise: Anfragen kommen nun auch von Schulen, Schulbegleitern und sogar vom Job-Center.

Welches sind die vorwiegenden Themen im Facharbeitskreis?

Matthias Falke: Fragen zur Alltagsgestaltung und –bewältigung. Außerdem besteht das Bedürfnis der Eltern und Betroffenen Strategien zu entwickeln, die aus der Ohnmacht hin zur Selbstwirksamkeit führen. Dabei hat sich als besonders hilfreich unser pädagogisch-therapeutisches Handlungskonzept erwiesen, das in Familien und auch Fachkreisen große Anerkennung findet und zu spürbaren Entlastungen in den Familien führt. Und natürlich geht es um gegenseitigen Austausch zur Entlastung; es wird hier übrigens auch gelacht.

Welches sind die größten Problemfelder der Pflege- und Adoptiveltern?

Matthias Falke: Mangelndes Verständnis und Wertschätzung. FASD als unsichtbare Behinderung ist für Außenstehende leider nicht erkennbar. Und es fehlt Wissen über diese Behinderung. So wird häufig immer noch das FASD-spezifische und auffällige Verhalten der mangelnden Erziehungsfähigkeit der Eltern (z.B. nicht richtig „durchgreifen“ zu können) zugeschrieben oder der „Faulheit“ des Kindes. Das ist natürlich nicht richtig und die Auseinandersetzungen mit Kita, Schule oder Jugendamt belastet Eltern sehr. Wachsen die Kinder dann zu Jugendlichen und junge Erwachsene heran, fehlt es häufig an geeigneten Übergängen in Beruf und Arbeit sowie an Wohnangeboten.

Der Aufklärungsbedarf über das Fetale Alkoholsyndrom ist selbst an Förderschulen sehr groß. Welche Erfahrungen machen Sie in der Zusammenarbeit mit Kindergärten und Schulen?

Matthias Falke: Sehr unterschiedliche. Manche (Förder-)Schulen und Kindergärten sind dabei, eine gelingende Pädagogik zu entwickeln und bilden sich fachlich fort. Dort läuft es für Kinder und Eltern gut. Bei anderen wiederum steht Unwissenheit, mangelnde Flexibilität und sich wenig Einlassen können einem gelingenden Miteinander im Weg. Oder gar die Annahme, FASD sei eine Modeerscheinung. Insgesamt ist das Thema Schule häufig schwierig.

Ein völlig unbearbeitetes Feld ist die Ausbildungs- und Berufszeit der Betroffenen. Es gibt keine adäquaten Ausbildungs- oder Arbeitsplatzangebote. Wie könnte Abhilfe geschaffen werden? Sind Sie auf diesem Sektor aktiv?

Matthias Falke: Aus Kindern werden Leute …“ – auch wir wachsen mit unseren Familien/Kindern und stellen fest, dass es im Anschluss nach der Schule große Lücken gibt. Mit viel Mühe und Geduld lassen sich individuelle Übergänge gestalten. Dies kann jedoch keine Lösung auf Dauer sein. Hier werden Strukturen gebraucht, angefangen bei der Reha-Beratung der Arbeitsagenturen, Berufsbildungseinrichtungen bis hin zu Wohneinrichtungen. Die Behindertenhilfe hält solche Strukturen vor und es muss geschaut werden, ob und wie dies auch für junge Menschen mit FASD passen könnte.

Hinzu kommt, dass (mit großer Mühe) erreichte Schulabschlüsse wie mittlere Reife oder gar Abitur – und damit der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt – sich für die Betroffenen als Bumerang erweisen können. Denn mit diesen Bildungsabschlüssen wird automatisch Selbstdisziplin, persönliche Struktur und Selbständigkeit gleichgesetzt. Dies ist bei FASD jedoch nicht der Fall und reguläre Ausbildungsverhältnisse bergen das Risiko einer Sackgasse. Denn die bisherige Betreuung durch Schulbegleitung und/oder Eltern wird mit dem Eintritt ins Arbeitsleben ja nicht plötzlich überflüssig.

Was wäre aus Ihrer Sicht grundsätzlich förderlich, um die Situation der von Alkoholschäden betroffenen Menschen in Deutschland zu ändern? Oder anders gefragt: Woran krankt es in unserem Land?

Matthias Falke: Betroffene wissen eigentlich sehr gut, was sie brauchen – wir müssen nur aufmerksam zuhören! Und dies mit einer persönlichen Haltung, die wir uns alle wünschen:

Anerkennung und Akzeptanz persönlicher Grenzen sowie ein aufmerksamer Blick für individuelle Stärken und Begabungen.

Information und Wissen über die unsichtbare Behinderung FASD sind dabei sehr hilfreich, um Menschen mit FASD gut begleiten zu können. Schulbladen- und Leistungsdenken bergen hingegen große Risiken für die Betroffenen und können zu weiteren Störungen führen.

Weitere Informationen: Fachzentrum für Pflegekinder mit FASD Köln, Erziehungsbüro Rheinland gGmbH, www.fasd-fz-koeln.de

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne