Erziehungsgeld für Pflegekinder darf nicht angerechnet werden
Diese Meilenstein-Entscheidung darf sich Anja Bielenberg, HAPPY BABY-Vorständin und Leiterin des FASD-Beratungszentrums Schleswig-Holstein auf die Fahne schreiben. Sie war die Klägerin in diesem denkwürdigen, neun Jahre dauernden Prozess in Kassel vor dem Bundessozialgericht.
Mit diesem Urteil vom 25. März 2025 (Az.: B 12 KR 2/23 R) hat das Bundessozialgericht einer langjährigen Praxis der Krankenkassen eine deutliche Grenze gesetzt:
Erziehungsgeld nach § 39 SGB VIII darf nicht automatisch der Beitragspflicht in der freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung unterworfen werden – insbesondere nicht oberhalb der Mindestbemessungsgrenze.
Zum Hintergrund:
Anja Bielenberg betreut in Vollzeitpflege drei Kinder mit fetalen Alkoholschäden mit erheblichem Förderbedarf. Für diesen Einsatz erhielt sie ein monatliches Erziehungsgeld in Höhe von 1.896 Euro. Die Krankenkasse behandelte diese Zahlungen als beitragspflichtiges Einkommen und erhob Beiträge auf Grundlage der üblichen Bemessungsformel: 1/90 der monatlichen Bezugsgröße.
Die FASD-Fachberaterin wandte sich dagegen – mit Verweis auf die Zweckgebundenheit und den sozialrechtlichen Charakter der Leistungen. Ihrer Ansicht nach handle es sich nicht um „echtes Einkommen“, sondern um einen pauschalen Aufwendungsersatz zur Förderung der Kindesentwicklung.
Kernaussagen des Urteils
- Keine Beitragsbemessung oberhalb der Mindestgrenze:
Das BSG hob die vorinstanzlichen Urteile auf und erklärte die Beitragserhebung für den Zeitraum April bis August 2017 insoweit für rechtswidrig, als sie auf ein fiktives Einkommen oberhalb der Mindestbemessungsgrenze gestützt war (§ 240 SGB V). - Keine automatische Einstufung als Einkommen:
Das Erziehungsgeld ist nicht per se als beitragspflichtige Einnahme zu werten. Es handelt sich um eine zweckgebundene Leistung, die in erster Linie die Aufnahmebereitschaft von Pflegepersonen fördern soll – und nicht um ein Entgelt im Sinne einer Erwerbstätigkeit. - Keine „vergütete Tätigkeit“ im Sinne des Beitragsrechts:
Die Betreuung in Vollzeitpflege ohne Erwerbsabsicht unterscheidet sich grundlegend von einer beruflichen Pflegetätigkeit. Eine „Vergütung“ liegt nur dann vor, wenn eine echte entgeltliche Gegenleistung für Arbeit erbracht wird – was hier nicht gegeben war. - Verweis auf verfassungsrechtlich gebotene Anreizfunktion:
Die Anerkennungsleistung dient dem Kindeswohl und stellt keine entgeltliche Gegenleistung dar. Ihre beitragsrechtliche Gleichstellung mit Einkommen würde eine systemwidrige Entwertung des Pflegeengagements bedeuten. - Vertrauensschutz gilt:
Da die Beiträge rückwirkend festgesetzt worden waren, war zusätzlich der Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzt – auch vor diesem Hintergrund war der angefochtene Bescheid rechtswidrig.
Bedeutung der Entscheidung
Dieses Urteil klärt eine seit Jahren umstrittene Frage im Schnittbereich von Sozialleistungsrecht und Beitragsrecht: Wann darf eine staatliche Leistung an Pflegeeltern als beitragspflichtiges Einkommen gewertet werden?
Das BSG macht deutlich, dass Erziehungsgeld im Kontext der Vollzeitpflege keine klassische Einkunftsquelle darstellt, sondern eine sozialrechtlich motivierte Anreiz- und Unterstützungsleistung. Pflegepersonen dürfen nicht durch übermäßige Beitragspflichten entmutigt werden.
Autorin: Dagmar Elsen
