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FAS muss zur bundesweit anerkannten Behinderung werden

Am 3. März tagt der Gesundheitsausschuss im deutschen Bundestag. Die FDP-Fraktion hat, wie berichtet, einen Antrag mit zehn Forderungen eingereicht. Wir von HAPPY BABY NO ALCOHOL möchten den Forderungskatalog um weitere Punkte ergänzen. Als besonders maßgebend empfinden wir, da es von grundlegender Bedeutung ist, dass das Fetale Alkoholsyndrom bundesweit als Behinderung anerkannt wird.

Ohne die Anerkennung als Behinderung fehlt es allerorten an Verständnis, dass die betroffenen Menschen Hilfe und Unterstützung brauchen.

Ohne die Anerkennung als Behinderung sind Eltern, Pflege- wie Adoptiveltern betroffener Kinder und erwachsene Betroffene im kräftezehrenden Einzelkampf der Willkür der Ärzte, Ämter und Behörden ausgesetzt.

Ohne die Anerkennung als Behinderung sind nötige Therapien, Kindergarten- und Schulbegleiter, Familienhilfen und dergleichen nur mühsam, wenn überhaupt, durchzusetzen.

Antrag der FDP-Fraktion/Drucksache 19/26118:

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

  1. ein wissenschaftlich fundiertes Konzept zur Prävention von FASD und FAS vorzulegen, das flächendeckend alle schwangeren Frauen während ihrer Schwangerschaft mehrmals erreicht und den Alkoholkonsum während der Schwangerschaft vermeiden soll,

  2. ein wissenschaftlich fundiertes Konzept zur Prävention von FASD und FAS vorzulegen, das das Wissen über die schädliche Wirkung von Alkohol für ungeborene Kinder in der Bevölkerung deutlich verbessert,

  3. zeitnah eine Aufklärungskampagne durch die BZgA zu veranlassen, in der die gesamte Bevölkerung über die Gefahren des Alkoholkonsums während der Schwangerschaft informiert wird,

  4. Programme und Hilfsangebote für alkoholkranke Frauen mit Kinderwunsch und für alkoholkranke Frauen in einer Schwangerschaft aufzulegen und zu erweitern, die den Alkoholkonsum der Frauen während der Schwangerschaft deutlich reduzieren oder vermeiden,

  5. gemeinsam mit den Ländern eine flächendeckende Untersuchung von Kin- dern auf FASD und FAS möglichst im Rahmen der U-Untersuchungen ein- zuführen und auszubauen,

  6. das Personal im Gesundheitswesen, der Pflege, in Einrichtungen für behin- derte Menschen sowie in Schulen, Kindertagesstätten, Vereinen und Verbän- den über FASD und FAS aufzuklären und zu sensibilisieren,

  7. die Maßnahmen zur Prävention, Behandlung und Selbsthilfe im Bereich FASD und FAS zu stärken und regelmäßig zu evaluieren,

  8. die benötigen finanziellen Mittel von Seiten des Bundes für diese Maßnahmen durch Umschichtungen bei den bestehenden Sucht- und Präventionspro- grammen im Einzelplan 15 des Bundeshaushalts und durch Nutzung beste- hender Haushaltsmittel im Bereich der Alkoholprävention zur Verfügung zu stellen,

  9. dem Bundestag jährlich zum 31. März über die Fortschritte zur Verminderung von FASD und FAS zu berichten,

  10. dem Bundestag zum 31. Dezember 2021 die Ergebnisse der Nummern 1 bis 8 zu berichten.

 

Ergänzende Forderungen von HAPPY BABY NO ALCOHOL

1. Bundesweite Anerkennung, dass FAS eine Behinderung ist, die Ämter, Behörden und Krankenkassen damit verpflichtet, entsprechende Unterstützung und Hilfeleistungen zu gewähren

2. Festlegung bei der Beurteilung des Grades der Behinderung: FAS-Vollbild generell mindestens 80% und FASD mindestens 50%

3. Die Aktualisierung/Anpassung des Merkzeichens H für hilflos bei der Bestimmung des Behinderungsgrades. Hilflosigkeit darf nicht nur auf körperliche Einschränkungen und dauerhaft hirnorganische Schäden abzielen.

4. Ausbildung und Fortbildung auf FAS in allen medizinisch und therapeutisch relevanten Berufen einschließlich der Ämter und Behörden muss zur Pflicht werden…

Bsp: Im Medizinstudium ist an der Charité im zweiten Semester Pflicht, FAS zu belegen

5. Festlegung der Aufklärungspflicht im Lehrplan ab Grundschule

6. Untersuchungspflicht beim SPZ, sobald Kleinwüchsigkeit, typische Gesichtsmerkmale, verkleinerter Kopf, Loch im Herzen, etc. und/oder Wissen um eine Alkoholexposition der Mutter vorliegt oder diese im Geburtsbericht vermerkt ist

7. Verpflichtung der Jugendämter, über FAS und die Auswirkungen zu informieren, ebenso die Verpflichtung, dass die Pflege- und Adoptiveltern aufgeklärt werden, selbst wenn nur der Verdacht auf fetale Alkoholschäden vorliegt

8. Unterstützung und Fortbildung für Pflege- und Adoptiveltern mit FAS-Kindern

9. Schaffung von Wohnformen für FAS-Betroffene

10. Einrichtung von adäquaten Beschäftigungsprogrammen

11. Stärkung des Kindesrechts, dass Kinder auch gegen den Willen der leiblichen Mutter diagnostiziert werden können, sobald der Verdacht auf fetale Alkoholschäden aufkommt

12. Verpflichtende Einführung von Warnpiktogrammen auf alkoholhaltigen Getränken wie es in unseren Nachbarländern schon lange Usus ist

Gemeinsames Ziel: Stop dem FAS

Zwischen 800.000 und 1.600.000 Menschen in Deutschland sind aktuell von fetalen Alkoholschäden betroffen, davon rund 160.000 Menschen mit einer schweren Behinderung, dem Vollbild des Fetalen Alkoholsyndroms. Ursache ist, dass die Gefahren von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft nicht ausreichend bekannt sind. 44 Prozent der Deutschen wissen nichts darüber. Aufklärung tut dringend Not.

Pro Bundesbürger gab das Bundesministerium für Gesundheit 2018 gerade einmal 0,2 Cent für die Bekämpfung des Fetalen Alkoholsyndroms aus, hat die Bundestagsfraktion der FDP errechnet und klagt außerdem an: Auch für die Erkennung und Behandlung von fetalen Alkoholschäden wird kaum etwas getan.

Das soll sich nach dem Willen der FDP schnellstmöglich ändern. Deshalb hat die Fraktion einen entsprechenden Antrag an die Bundesregierung gestellt. Diesem wird in Zusammenarbeit mit HAPPY BABY NO ALCOHOL für den Gesundheitsausschuss am 3. März noch ein ergänzendes Forderungspaket nachgereicht. Wir werden berichten.

Jenseits dessen sind für die Diskussion im Gesundheitsausschuss Sachverständige angefragt. Aus den Reihen der Supporter von HAPPY BABY NO ALCOHOL sind dies FAS-Experte Professor Hans-Ludwig Spohr aus Berlin, der Chefarzt und FAS-Experte der Klinik Walstedde bei Münster, Dr. Khalid Murafi, sowie die Initiatorin der Kampagne, die Journalistin Dagmar Elsen.

Um eine Stellungnahme zur Thematik haben wir nun den sucht- und drogenpolitischen Sprecher der FDP, Dr. Wieland Schinnenburg, im Rahmen eines Blog-Gastbeitrags gebeten.

Ungeborene Kinder vor schweren Schäden durch Alkohol schützen

Wie viele Kinder tatsächlich jährlich mit Schäden geboren werden, die auf Alkoholkonsum in der Schwangerschaft zurückzuführen sind, ist nicht ganz klar. Leider wird die Diagnose immer noch häufig übersehen, oder nicht richtig erkannt. Schätzungen gehen davon aus, dass zwischen 10.000 und 20.000 Kinder jährlich betroffen sind und etwa 2.000 bis 3.000 Kinder mit schweren Schäden zur Welt kommen (Drogen- und Suchtbericht 2019, https://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12916-019-1290-0). Zusammengefasst werden diese Schäden unter der Bezeichnung Fetale Alkoholspektrumstörung (FASD). Damit verbundene Symptome sind Wachstumsstörungen, körperliche Fehlbildungen, Störungen im zentralen Nervensystem und Betroffene haben mit neurologischen, kognitiven und psychiatrischen Problemen zu kämpfen. Bei der besonders schweren Form der Schädigung, dem Fetalen Alkoholsyndrom (FAS), werden die Kinder mit solch schweren Einschränkungen geboren, dass sie ein Leben lang geistig und körperlich schwerbehindert sind. Legt man eine durchschnittliche Lebenserwartung in der deutschen Bevölkerung von rund 80 Jahren zugrunde, so sind aktuell zwischen 800.000 und 1.600.000 Menschen in Deutschland durch FASD betroffen, davon rund 160.000 Menschen mit einer schweren Behinderung (FAS).

Fetale Alkoholspektrumstörungen sind damit die häufigsten chronischen Erkrankungen, die bereits bei Geburt bestehen (https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs15014-020-2335-8). Das ist besonders tragisch, da FASD eine vermeidbare Ursache hat: Alkoholkonsum während der Schwangerschaft. Schon geringe Alkohol-Mengen können schwere Schäden an ungeborenen Kindern hervorrufen. Bislang wissen jedoch 44 Prozent der Menschen in Deutschland nicht, dass Alkohol in der Schwangerschaft zu schweren Schäden bei ungeborenen Kindern führen kann (Drogen- und Suchtbericht 2018). Zudem konsumieren 20 Prozent der schwangeren Frauen in moderaten Mengen Alkohol, 8 Prozent haben sogar ein riskantes Alkoholkonsumverhalten. Knapp 16 Prozent der schwangeren Frauen praktiziert „Rauschtrinken“ mit mehr als vier alkoholischen Getränken pro Gelegenheit (vgl. Drs. 19/1228). Selbst medizinisches Personal unterschätzt das Risiko von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft (https://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12916-019-1290-0).

Trotz der hohen Anzahl an betroffenen Menschen und der Vielzahl von Frauen, die während einer Schwangerschaft Alkohol konsumieren, wird von Seiten der Bundesregierung kaum etwas gegen FASD und FAS unternommen. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung hat das Thema FASD zu einem ihrer Schwerpunktthemen gemacht – allerdings ohne nennenswerte Aktivitäten. Pro Bundesbürger gab das Bundesministerium für Gesundheit 2018 gerade einmal 0,2 Cent für die Bekämpfung von FAS und FASD aus. Auch für die Erkennung und Behandlung von FASD und FAS wird kaum etwas getan. In den U-Untersuchungen werden Kinder nicht systematisch nach FASD und FAS untersucht (vgl. Drs. 19/6794). Das betreffende Fachpersonal scheint immer noch nicht ausreichend geschult.

Dabei ist eine Prävention und eine möglichst frühe Erkennung von Betroffenen von zentraler Bedeutung, um FASD einzudämmen und wirksam zu behandeln. Hier muss dringend mehr unternommen werden, um Kinder und Eltern vor den schweren Folgen von FASD und FAS zu schützen. Daher fordert die FDP-Bundestagsfraktion in einem aktuellen Antrag ein wissenschaftlich fundiertes Präventionskonzept. Dabei ist wichtig, dass Frauen während ihrer Schwangerschaft mehrmals erreicht werden, um Alkoholkonsum vorzubeugen. Das Wissen in der Allgemeinbevölkerung zur schädlichen Wirkung von Alkohol auf ungeborene Kinder muss gesteigert werden, dafür benötigen wir eine flächendeckende Kampagne der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Frauen mit einer Alkoholabhängigkeit müssen während ihrer Schwangerschaft besonders unterstützt werden. Außerdem muss das Personal im Gesundheitswesen aufgeklärt und sensibilisiert werden.

Unser Ziel ist es, die Anzahl der Neugeborenen mit FASD und FAS bis zum Jahr 2025 mindestens um die Hälfte zu reduzieren.

Gastautor: Dr. Wieland Schinnenburg