Studien-Reise Fetales Alkoholsyndrom – Was gibt’s Neues 2021?

Unsere Botschafterin, die Diplom-Psychologin Annika Rötters, hat sich auf Studien-Reise begeben zu erkunden, welche wissenschaftlichen Erkenntnisse im Jahr 2021 zum Thema fetale Alkoholschäden veröffentlicht worden sind. Dabei ist sie auf drei große Themenkomplexe gestoßen. Der erste Komplex widmet sich den Fragen, welche Bereiche, wie, durch Alkohol-Exponation in der Schwangerschaft geschädigt werden. Der zweite Themenblock beschäftigt sich mit den Besonderheiten bei der Diagnose fetaler Alkoholschäden. Im dritten Teil geht es um die Herausforderungen und Strategien für Eltern, seien es leibliche, Pflege- oder Adoptiveltern von Kindern, die fetale Alkoholschäden haben.

Die wichtigsten Erkenntnisse nach heutigem Wissensstand:

+ Nach wie vor gilt: Es gibt keine sichere Menge Alkohol in der Schwangerschaft, die unschädlich wäre für das Kind

+ Die aktuelle Diagnostik wird dem breiten Spektrum alkoholbedingter Schädigungen noch nicht gerecht

+ Eine frühe Förderung von Sprache und Sprachverstehen kann definitiv auch andere Entwicklungsbereiche positiv beeinflussen

+ Eine frühzeitige Diagnose fördert die Entwicklungsmöglichkeiten Betroffener und macht sie selbständiger

+ Bei der Diagnostik von kognitiven Beeinträchtigungen sollte auch das Schlafverhalten in die Behandlung miteingeschlossen werden

+ Auch im Erwachsenenalter kann eine Diagnose noch von Vorteil sein, da sie besseren Zugang zu Unterstützungsleistungen ermöglicht, sowie das persönliche Verständnis und die Anpassungsfähigkeit fördern können.

+ Interventionen stärken das soziale Umfeld eines betroffenen Menschen. Dazu zählt, die Betreuungspersonen darin zu unterstützen, ressourcenorientiert den eigenen Alltag so zu gestalten, dass eine selbstfürsorgliche Haltung nicht vor lauter Terminen, Stress und Hindernissen untergeht. Das kann sich positiv auf die gesamte Familie und auch auf die Entwicklung betroffener Kinder auswirken.

Wie schädigt der Alkohol und kann sich das wieder erholen?

Zu den konkreten Wegen, auf denen der Alkohol die Entwicklung des Ungeboreren beeinträchtigt und nachhaltige Schäden durchführt, gibt es neue Erkenntnisse. Sullivan und Kollegen untersuchten 2020 die MRT-Daten von 115 betroffenen und 59 nicht betroffenen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Im Fokus stand der Volumen der „lobulären grauen Substanz“ – also quasi die „grauen Zellen“ im Kleinhirn.

In ihrer Analyse fanden sie abgestufte Defizite, die ein Spektrum von Schweregraden fetaler alkoholbedingter Schädigungen unterstützen. Bei weiteren neuroradiologischen Messungen wurden insgesamt zwanzig Anomalien festgestellt, von denen acht das Kleinhirn betrafen. Sullivan und Kollegen schlussfolgern daraus, dass die diagnostisch charakteristischen funktionellen Beeinträchtigungen der emotionalen Kontrolle, der visuomotorischen Koordination und der Haltungsstabilität über diesen Schädigungsweg erklärt werden könnten. Offensichtlich ist das Kleinhirn nicht nur an allen diesen Handlungen beteiligt, sondern ist auch durch seine ausgedehnte pränatale Wachstumsphase besonders empfindlich gegenüber schädlichen Umwelteinflüssen.

Auch Inkelis, Moore, Bischoff-Grethe & Riley untersuchten 2020 altersbedingte Unterschiede im Volumen verschiedener Gehirn-Strukturen (Corpus callosum, Basalganglien und Kleinhirn) im Jugend- und jungen Erwachsenenalter. Die Unterschiede führen sie auf die Empfindlichkeit dieser Regionen gegenüber pränataler Alkoholexposition zurück. Die Forscher fanden deutliche Unterschiede in Größe und Volumen einiger Hirnregionen: Alle Subregionen waren in der FASD-Gruppe im Vergleich zu den Kontrollen signifikant kleiner. Außerdem unterschieden sich die FASD- und Kontrollgruppen in ihrer Beziehung zwischen Alter und Gesamtvolumen des Corpus callosum, des Caudatus und des Kleinhirns. Ältere FASD-Personen hatten ein kleineres Gesamtvolumen in diesen Regionen. In der Kontrollgruppe wurden keine altersbedingten Unterschiede im Volumen gefunden.

Wichtig ist bei der Betrachtung der Veränderungen zudem das biologische Geschlecht: So wiesen männliche Kontrollpersonen vor allem im Pallidum und im Kleinhirn größere Volumina auf als die weiblichen Kontrollpersonen. Die Geschlechtsunterschiede wurden in der FASD-Gruppe abgeschwächt, blieben jedoch bestehen.

Auch zu möglichen Schutzfaktoren vor Alkoholschädigungen gibt es neue Erkenntnisse – zumeist aus der Tierforschung. Hier möchte ich auf die Experimente von Bottom et al. und Cadena et al. aus dem Jahr 2020 eingehen. Beide Studien befassen sich mit möglichen Schutzfaktoren gegen starke Auswirkungen des Alkohols. In beiden Studien wird betont, dass die Schädigungen des Nervensystems durch Alkohol permanent sind und es keine Heilung gibt.

Gleichzeitig fanden beide Forschungsgruppen Hinweise darauf, dass das Ausmaß der verursachten Schädigung reduziert werden könnte. Cadena und Kollegen untersuchten die mütterliche Versorgung mit Folsäure im Zusammenhang mit Schädigungen durch Alkohol bei Zebrafischlarven. In der Experimentalgruppe wurden die durch Alkohol verursachten Defekte durch die zusätzliche Gabe von Folsäure bei den Larven reduziert (wenn auch nicht vollständig verhindert).

In einem anderen Versuch setzten Bottom und Kollegen trächtige Mäuse während der gesamten Trächtigkeit 25 % Ethanol (Alkohol) und zusätzlich 642 mg/L Cholinchlorid (Cholin) aus. Sie wollten die Auswirkungen der Cholin-Supplementierung auf die Entwicklung des Gehirns, Nervensystems, sowie auf das Verhalten des Nachwuchses messen.

Resultat:

+ Eine gleichzeitige Cholin-Supplementierung neben dem Alkoholeinfluss verhinderte grobe Entwicklungsanomalien (die mit Alkohol in Verbindung gebracht wurden), wie zum Beispiel das verringerte Körpergewicht und Hirngewicht.

+ Die Schädigung von bestimmten (intraneokortikalen) Schaltkreisen war in der Experimentalgruppe mit Cholin geringer.

+ Auf genetischer Ebene sowie der Wirkweise bestimmter Gene, die durch Alkohol verändert wird, beobachteten Bottom und Kollegen Verbesserungen.

+ Die Verbesserung sensomotorischer Verhaltensstörung

+ Verbessert war das teilweise erhöhte Angstverhalten, das bei trächtigen Mäusen durch Alkohol-Exponation entstanden war.

Inwieweit diese Daten auf Menschen zu übertragen sind, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht erforscht.

Zunehmend gibt es Hinweise, die darauf deuten, dass die Umweltbedingungen, unter denen Menschen mit fetalen Alkoholschäden leben, für ihre Entwicklung ein wichtiger Faktor sind.

Die Analysen der Canadian National FASD Database von Burns und Kollegen (2021) zeigen, dass Kinder, die von der Sozialhilfe betreut werden, deutlich häufiger sexuell und körperlich missbraucht werden als Kinder, die bei ihren leiblichen Eltern oder bei Pflege-, Adoptiv- oder anderen Familienmitgliedern leben. Auch der Anteil der Kinder, die Schwierigkeiten mit dem Gesetz hatten, war bei denjenigen, die in der Kinderfürsorge leben, höher als bei denjenigen, die bei Adoptiv- oder anderen Familienmitgliedern leben. Umgekehrt war die Rate der diagnostizierten Stimmungsstörungen bei Kindern, die bei Pflege-, Adoptiv- oder anderen Familienmitgliedern lebten, deutlich höher als bei Kindern, die von der Sozialhilfe betreut wurden.

Auch Vega-Rodriguez und Kollegen (2020) kommen zu dem Schluss, dass Umweltfaktoren häufig für Menschen mit fetalen Alkoholschäden nachteilig sind – nämlich dann, wenn sie entweder nicht frühzeitig diagnostiziert werden, oder die Betroffenen keine angemessene Unterstützung erfahren. Vega-Rodriguez und Kollegen beschreiben einen symptomatischen Einzelfall: Ein 9-jähriges Kind, bei dem sie alle zum jetzigen Zeitpunkt bekannten relevanten Variablen, die seine Entwicklung beeinflussen (FASD-Diagnose und sozio-ökologische Bedingungen), beobachtet und analysiert haben.

Beschrieben werden seine frühe Kindheit in Heimen, der Umzug in eine Pflegefamilie im Alter von sechs Jahren und verschiedene Bewertungsmaßnahmen von der Pflegefamilie bis heute. Festgestellt wurden Schwierigkeiten in den Bereichen Wortschatz, Zugang zum Wortschatz, Morphologie, Syntax, Grammatik, mündliche Erzählung, Pragmatik, Sprache und Kommunikation. Kognitive Schwierigkeiten fielen auf in den Bereichen Gedächtnis und Wahrnehmung. Bei den exekutiven Funktionen gab es Probleme in der sozialen Anpassung, beim Lernen und dem Sozialverhalten.

Die Forschenden kommen zu dem Schluss, dass eine frühzeitige Diagnose und ein frühzeitiger Ansatz es Betroffenen ermöglichen kann, trotz ihrer neurologischen und verhaltensbedingten Einschränkungen Fähigkeiten in verschiedenen Dimensionen zu entwickeln, um frühe Widrigkeiten zu bewältigen. Auch wenn fetale Alkoholschäden nach wie vor als nicht heilbar gelten, kann ein unterstützendes Umfeld betroffene Kinder sehr wohl dazu befähigen, im Laufe ihrer Entwicklung Bewältigungsstrategien zu erwerben und aufzubauen, mit ihrer Diagnose so eigenständig und selbstbestimmt wie möglich zu leben.

Gibt es neue Empfehlungen zur Diagnose und Behandlung?

In vielen Ländern ist man der Überzeugung, dass eine frühzeitige Diagnostik für Kinder von Vorteil ist, da sie frühzeitig Zugang zu Unterstützung durch frühe Hilfen, Förderung der Entwicklung sowie eine bessere psychosoziale Versorgung auch der Betreuungspersonen bekommen können. Es gibt aber auch Länder, die das vollkommen anders sehen und nur Vollbild-Diagnosen stellen. So in Schweden.

Karin Heimdahl Vepsä befasst sich (2020) in ihrem Paper mit der pragmatischen, der ethischen und der wissenschaftlichen Perspektive. Und sie sagt: Eine Diagnose, etwa durch Stigmatisierung der Mütter aufgrund des Alkoholkonsums in der Schwangerschaft, kann auch mit Risiken verbunden sein, die möglicherweise im Einzelfall die Vorteile einer Diagnostik nicht überwiegen. In Schweden ist das Vorgehen daher bisher klar begrenzt: Es wird nicht das gesamte Spektrum diagnostiziert.

Andernorts gewinnt zunehmend die Frage an Bedeutung, ob es sinnvoll sein kann, auch noch im Erwachsenenalter zu diagnostizieren:

Temple, Prasad, Popova, & Lindsay befassten sich im Jahr 2020 mit der Frage, ob auch eine Diagnose von fetalen Alkoholschäden im Erwachsenenalter Betroffenen Vorteile bringt. Sie befragten zwanzig Erwachsene, die zum Zeitpunkt ihrer Diagnose zwischen 18 und 45 Jahren alt waren. Insgesamt fanden sie deutlich erhöhte Raten von klinisch relevanten psychischen Störungen (mehr als die Hälfte der Befragten) und eine Arbeitslosenquote von 85 % (17 von 20) – vor der Diagnose bezogen zwei der Befragten ein Erwerbsunfähigkeitseinkommen und drei von ihnen hatten Anspruch auf Leistungen für geistig Behinderte (ID).

Bei der Nachuntersuchung erhielten 90 % der Teilnehmer (18 von 20) ein Erwerbseinkommen und 85 % (17 von 20) hatten Anspruch auf ID-Leistungen. Alle zwanzig befolgten mindestens eine Beurteilungsempfehlung und fünfzehn der Befragten befolgten sogar zwei. Die meisten (15) gaben an, dass eine Diagnose von Vorteil war, da sie eine bessere Anpassung und ein besseres Selbstverständnis ermöglichte.

Temple et al. kommen somit zu dem Schluss, dass auch im Erwachsenenalter eine Diagnose noch von Vorteil für Betroffen sein kann, da sie besseren Zugang zu Unterstützungsleistungen ermöglicht, sowie das persönliche Verständnis und die Anpassungsfähigkeit fördern könne.

Und auch bezüglich der Diagnostik selbst gibt es neue Daten: Pei und Kollegen haben einen Datensatz von Entwicklungsfragebögen aus Kindergärten untersucht. Sie kommen zu dem Schluss, dass die Prävalenz der fetalen Alkoholspektrumsstörung (FASD) möglicherweise unterschätzt werde, da sie in der frühen Kindheit schwer zu diagnostizieren sei. Sie fanden eine Prävalenz (Anteil von erkrankten Kindern im Vergleich zur Gesamtpopulation von Kindern im gleichen Alter), die von 0,01 bis 0,31 % reichte. Ein größerer Prozentsatz der Kinder mit FASD hatte nach Angaben der Lehrer häusliche Probleme, die sich auf ihr Verhalten auswirkten.

Auch May und Kollegen befassen sich in ihrem Papier (2021) mit der Prävalenz fetaler Alkohol-Spektrum-Störungen und untersuchten eine Zufallsstichprobe auf kindliche Merkmale und mütterliches Risiko für fetale Alkoholspektrumstörungen (FASD) in einem Bezirk im Südosten der Vereinigten Staaten. Alle 231 freiwillig an der Studie teilnehmenden Kinder wurden auf Dysmorphologie und Wachstum untersucht, 84 wurden auf ihr Neuroverhalten getestet und bewertet, und 72 Mütter wurden auf ihr mütterliches Risiko hin befragt.

Es gab signifikante Unterschiede zwischen den Kindern, bei denen FASD diagnostiziert wurde gegenüber der Gesamtstichprobe bei Größe, Gewicht, Kopfumfang, Body-Mass-Index und den Gesamtwerten für die Dysmorphologie sowie bei allen drei Hauptmerkmalen des fetalen Alkoholsyndroms: Länge der Lidspalte, glattes Philtrum und schmales Zinnoberrot. Die intellektuellen Funktionen und die Hemmungsfähigkeit unterschieden sich nicht signifikant innerhalb der Stichprobe. Aber zwei Messungen der exekutiven Funktionen und eine Messung der visuellen/räumlichen Fähigkeiten näherten sich der Signifikanz. Insgesamt sechs Verhaltensmessungen waren in der FASD-Gruppe signifikant schlechter: von den Lehrern bewertetes aggressives Verhalten, oppositionelles Trotzverhalten und Verhaltensprobleme sowie von den Eltern bewertete Probleme bei der Kommunikation, dem täglichen Leben und der Sozialisierung.

Als signifikante mütterliche Risikofaktoren wurden postpartale Depressionen, die Häufigkeit des Alkoholkonsums und die Erholung vom problematischen Alkoholkonsum angegeben. Die Prävalenz von FASD betrug 71,4 pro 1.000 oder 7,1 %. Das bedeutet, dass jedes 14. Kind fetale Alkohol-Spektrum-Schädigungen aufweist. Diese Rate liegt innerhalb des Prävalenzbereichs, der in acht größeren Stichproben anderer Gemeinden im Rahmen der Collaboration on FASD Prevalence (CoFASP)-Studie in vier Regionen der Vereinigten Staaten ermittelt wurde. Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass eine sorgfältige und detaillierte klinische Bewertung von Kindern aus kleinen Zufallsstichproben für die Schätzung der Prävalenz und der Merkmale von FASD in einer Gemeinde nützlich sein kann.

Dass hierbei gleichzeitig möglichst auf eine breite Diagnostik zu achten ist, zeigen die Ergebnisse von Mattson et al. Sie befassen sich mit fehlenden Zusammenhängen zwischen elterlichen Berichten und aufgabenbasierten Leistungsmessungen bei Kindern mit FASD in bisherigen Studien und vergleichen die Ergebnisse längerer Aufgaben mit elterlichen Leistungseinschätzungen ihrer Kinder. Sie untersuchten, ob Veränderungen in der Leistung im Laufe der Zeit innerhalb einer Aufgabe (d.h. erste Hälfte versus zweite Hälfte) besser mit den elterlichen Berichten über exekutive Funktionen und Temperament bei Kindern mit FASD übereinstimmen. Sie interpretieren ihre Ergebnisse so, dass Leistungsunterschiede innerhalb einer Aufgabe individuelle Unterschiede in der exekutiven Funktion und im Temperament, wie sie von den Eltern berichtet werden, genauer widerspiegeln und dazu beitragen, die Art und Weise, wie kognitive Prozesse bei Kindern mit FASD gemessen werden, zu verbessern. Insgesamt deuten auch diese Daten darauf hin, dass die Diagnostik dem weiten Spektrum von alkoholbedingen Schädigungen noch nicht gerecht wird.

Die Daten von Dylag und Kollegen aus dem Italian Journal of Pediatrics (2021) zeigen auf, dass auch Schlafstörungen bei Personen mit fetalen Alkoholschäden ein wichtiges Gesundheitsproblem zu sein scheinen. Sie untersuchten vierzig diagnostizierte Patienten (Durchschnittsalter acht Jahre), und vierzig normal entwickelte Kinder (Durchschnittsalter zehn Jahre) mittels eines Screening von Schlafproblemen über einen Fragebogen, der von einer Betreuungsperson ausgefüllt wurde. Diejenigen aus der FASD-Gruppe, die mehr als 41 Punkte erreichten, qualifizierten sich für die zweite Phase der Studie und ließen eine Polysomnographie im Labor durchführen. Die Messungen umfassten ein Elektroenzephalogramm, Elektrookulogramme, ein Kinn- und Schienbein-Elektromyogramm, ein Elektrokardiogramm, Beatmungsüberwachung, Atemanstrengung, Pulsoxymetrie, Schnarchen und Körperposition. Die Ergebnisse wurden mit den Referenzdaten des PSG-Labors verglichen.

Die Zahl der Teilnehmer mit Schlafstörungen war in der FASD-Gruppe deutlich höher als bei Kindern mit normaler Entwicklung (55 % gegenüber 20 %). Auf den folgenden Subskalen fanden sich signifikante Unterschiede zwischen der Gruppe von Kindern mit der Diagnose FASD im Vergleich zur Kontrollgruppe: Verzögerung des Einschlafens, nächtliches Aufwachen, Parasomnien, schlafbezogene Atmungsstörungen und Tagesschläfrigkeit. Kinder aus der FASD-Gruppe, die sich einer PSG unterzogen, erlebten im Vergleich zu den PSG-Laborreferenzdaten mehr Arousals (Wachheitszustände) während des Schlafs. Die Atmungsindizes in der FASD-Gruppe scheinen höher zu sein als die zuvor veröffentlichten Daten von Kindern mit normaler Entwicklung. Dylag und Kollegen fordern auf der Basis ihrer Ergebnisse mehr Aufmerksamkeit für Schlafstörungen bei Menschen mit FASD.

Dies bringen Mughall und Kollegen in Zusammenhang mit anderen Merkmalen von Kindern mit FASD: Sie untersuchten Schlaf und seinen Zusammenhang mit der Kognition, also der Funktionsweise des Denkens bei Personen mit FASD. Dazu verglichen sie den Schlaf bei Kindern mit fetalen Alkoholspektrumstörungen mit dem Schlaf von Kindern mit Autismus-Spektrum-Störungen. Alle Kinder wiesen eine signifikant kürzere Gesamtschlafdauer, eine geringere Schlafeffizienz und mehr nächtliches Aufwachen auf als die Kinder der altersgerecht entwickelten Kontrollgruppe. Der Schlaf stand bei allen drei Gruppen in signifikantem Zusammenhang mit den Ergebnissen der kognitiven Tests. Diese Ergebnisse unterstützen die These, dass Schlaf für die kognitiven Funktionen bedeutsam ist – für genaue Aussagen über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge sind jedoch weitere Untersuchungen notwendig.

Insgesamt lässt sich sagen, dass Sprache und Denken nicht unabhängig voneinander sind – ebenso weisen die Studien auf Zusammenhänge zwischen Schlaf und Denken hin.

Vega-Rodríguez und Kollegen (2020) kommen in ihrer bereits erwähnten Einzelfallstudie zu dem Schluss, dass es für die Diagnose und Behandlung der für dieses Syndrom charakteristischen Sprach- und Kommunikationsschwierigkeiten der Unterstützung durch Sprachpathologen bedarf und diese gar „von entscheidender Bedeutung“ sei. Dem aktuellen Stand der Forschung nach ist eine Frühförderung im Bereich Sprache und Kommunikation also definitiv eine wichtige Säule in der Begleitung von Kindern mit fetalen Alkohol-Spektrum-Störungen.

Was sind die größten Herausforderungen – sowohl für Betroffene als auch (Pflege-, Adoptiv-)Eltern und Angehörige?

In der medizinischen Forschungsliteratur wird zunehmend über ein hohes Maß an Stress bei Betreuern von Kindern mit fetalen Alkoholspektrumstörungen (FASD) berichtet (Mohamed, Carlisle, Livesey & Mukherjee, 2020). Während es jedoch weltweit eine wachsende Anzahl von evidenzbasierten Interventionen und Trainingsprogrammen für den Stress von Betreuern im Allgemeinen gibt, gibt es nur wenige – in einigen Ländern sogar keine Programme für diejenigen, die sich um Kinder mit FASD kümmern.

Mohamed et al. haben in ihrem Paper ein aktuelles Stress-Profil von Betreuungspersonen von Kindern mit FASD erstellt, auf der Basis einer Befragung von 71 Betreuungspersonen und den von ihnen betreuten Kindern. Untersucht wurden sowohl das elterliche Stressniveau, als auch das Verhalten der Kinder; hier hinsichtlich Kognition, adaptivem Verhalten, sensorischer Verarbeitung und externalisierenden Verhaltensfunktionen.

Bei der Messung des Stressniveaus in den Familien zeigte sich in den Kinder-Skalen des Fragebogens zum elterlichen Stressniveau (PSI – Parental Stress Index) ein Stresswert, der deutlich über dem klinisch signifikanten Grenzwert für hohen Stress lag. Insgesamt fanden Mohamed et al. gleichzeitig aber keine Zusammenhänge zwischen Elternbereichen und Verhaltensweisen der Kinder.

Eine Regressionsanalyse ergab, dass Schwierigkeiten im Bereich der exekutiven Funktionen bei den Kindern die wichtigsten Prädiktoren für den Stress der Betreuungspersonen sind. Nicht signifikant waren dagegen sensorische Schwierigkeiten, obwohl 83 % der Kinder erhöhte Probleme dieser Art hatten. Die Gesamtstresswerte der Betreuer von Kindern mit fetalen Alkoholschäden waren erhöht und überstiegen bei weitem den Schwellenwert des PSI. Das lässt auf einen Bedarf an “weiterer professioneller Beratung” schließen. Mohamend et al. fordern deshalb eine verstärkte Berücksichtigung der elterlichen Bedürfnisse und eine Entwicklung von evidenzbasierten Interventionen, die auf diesen Personenkreis zugeschnitten ist.

Auch Kautz, Parr & Petrenko befragten im Jahr 2020 Betreuungspersonen von Kindern mit fetalen Alkoholspektrumstörungen. Im Fokus der 46 Befragten stand die Betrachtung: Kann sich erhöhter Stress der Betreuungspersonen negativ auf die physische und psychische Gesundheit der Betreuungspersonen und auch das Familienklima auswirken? In der Studie wurden Strategien und Hindernisse im Zusammenhang mit der Selbstfürsorge beschrieben. Untersucht wurde, wie die wahrgenommene Selbstfürsorge, deren Häufigkeit und das Vertrauen in die Selbstpflege im Zusammenhang mit Stress, Einstellung der Eltern und familiären Bedürfnissen stehen.

Ergebnis: Die konkreten Strategien und Hindernisse für Selbstfürsorge waren sehr unterschiedlich. Größeres Selbstvertrauen in die Selbstfürsorge zog weniger elterliche Belastung nach sich und brachte mehr Zufriedenheit in der Elternrolle. Die Häufigkeit der Selbstfürsorge stand hier in einem positiven Zusammenhang mit dem Vertrauen in die Selbstfürsorge, jedoch nicht mit anderen Messgrößen für das Funktionieren der Familie. Daraus lässt sich die Bedeutung von Wissen um die Wirkung von Selbstfürsorge und Selbstfürsorge-Strategien für die erlebte Selbstwirksamkeit der Betreuungspersonen ableiten. Das kann sich nicht nur positiv auf die psychische Gesundheit der Betreuungspersonen auswirken, sondern auf das gesamte Familienklima.

Autorin: Annika Rötters, Diplom-Psychologin

Quellen:

Bottom, R. T., Abbott III, C. W., & Huffman, K. J. (2020). Rescue of ethanol-induced FASD-like phenotypes via prenatal co-administration of choline. Neuropharmacology, 168, 107990.

Burns, J., Badry, D. E., Harding, K. D., Roberts, N., Unsworth, K., & Cook, J. L. (2021). Comparing outcomes of children and youth with fetal alcohol spectrum disorder (FASD) in the child welfare system to those in other living situations in Canada: Results from the Canadian National FASD Database. Child: Care, Health and Development, 47(1), 77-84.

Cadena, P. G., Cadena, M. R. S., Sarmah, S., & Marrs, J. A. (2020). Folic acid reduces the ethanol-induced morphological and behavioral defects in embryonic and larval zebrafish (Danio rerio) as a model for fetal alcohol spectrum disorder (FASD). Reproductive Toxicology, 96, 249-257.

Dylag, K. A., Bando, B., Baran, Z., Dumnicka, P., Kowalska, K., Kulaga, P., … & Curfs, L. (2021). Sleep problems among children with Fetal Alcohol Spectrum Disorders (FASD)-an explorative study. Italian Journal of Pediatrics, 47(1), 1-11.

Heimdahl Vepsä, K. (2020). Is it FASD? And does it matter? Swedish perspectives on diagnosing fetal alcohol spectrum disorders. Drugs: Education, Prevention and Policy, 1-11.

Inkelis, S. M., Moore, E. M., Bischoff-Grethe, A., & Riley, E. P. (2020). Neurodevelopment in adolescents and adults with fetal alcohol spectrum disorders (FASD): a magnetic resonance region of interest analysis. Brain research, 1732, 146654.

Kautz, C., Parr, J., & Petrenko, C. L. (2020). Self-care in caregivers of children with FASD: How do caregivers care for themselves, and what are the benefits and obstacles for doing so?. Research in developmental disabilities, 99, 103578.

Mattson, J. T., Thorne, J. C., & Kover, S. T. (2020). Relationship between task-based and parent report-based measures of attention and executive function in children with Fetal Alcohol Spectrum Disorders (FASD). Journal of Pediatric Neuropsychology, 6(3), 176-188.

May, P. A., Hasken, J. M., Hooper, S. R., Hedrick, D. M., Jackson-Newsom, J., Mullis, C. E., … & Hoyme, H. E. (2021). Estimating the community prevalence, child traits, and maternal risk factors of fetal alcohol spectrum disorders (FASD) from a random sample of school children. Drug and Alcohol Dependence, 108918.

Mohamed, Z., Carlisle, A. C., Livesey, A. C., & Mukherjee, R. A. (2020). Carer stress in Fetal Alcohol Spectrum Disorders: the implications of data from the UK national specialist FASD clinic for training carers. Adoption & Fostering, 44(3), 242-254.

Pei, J., Reid-Westoby, C., Siddiqua, A., Elshamy, Y., Rorem, D., Bennett, T., … & Janus, M. (2021). Teacher-Reported Prevalence of FASD in Kindergarten in Canada: Association with Child Development and Problems at Home. Journal of autism and developmental disorders, 51, 433-443.

Sullivan, E. V., Moore, E. M., Lane, B., Pohl, K. M., Riley, E. P., & Pfefferbaum, A. (2020). Graded Cerebellar Lobular Volume Deficits in Adolescents and Young Adults with Fetal Alcohol Spectrum Disorders (FASD). Cerebral Cortex, 30(9), 4729-4746.

Temple, V. K., Prasad, S., Popova, S., & Lindsay, A. (2020). Long-term outcomes following Fetal Alcohol Spectrum Disorder (FASD) diagnosis in adulthood. Journal of Intellectual & Developmental Disability, 1-9.

Vega-Rodríguez, Y. E., Garayzabal-Heinze, E., & Moraleda-Sepúlveda, E. (2020). Language development disorder in fetal alcohol spectrum disorders (FASD), a case study. Languages, 5(4), 37.