Seit 13 Wochen illegale Inobhutnahme

Keine Telefonate, keine Mails, geschweige denn irgendwelche Besuche vom Pflegekinderdienst. Keine Vormundschaft für niemand, keine Ausstattung, keine Ausweise, keine U3-Untersuchung, kein Geld. Seit einiger Zeit liegt wenigstens das gelbe Heft vor, später kam noch eine Kopie der Geburtsurkunde hinzu. 

Das ist der Faktencheck von Carla (Name geändert), die als Pflegemutter von zwei Kindern mit fetalen Alkoholschäden im Spätherbst des vergangenen Jahres vom Jugendamt gefragt worden war, ob sie jemanden kenne, der im Dezember ein Kind mit FASD aufnehmen würde. Die schwangere Frau habe selbst FASD, ihr geschädigtes Erstgeborenes sei ihr seinerzeit auch schon weggenommen worden. Wochen später ein Anruf, ob Carla bereit sei den Säugling aufzunehmen. Man würde jetzt zur Mutter fahren und das Gespräch suchen. „Eineinhalb Stunden später riefen sie mich erneut an und sagten, dass sie sich jetzt auf den Weg machen zu mir“, erzählt die Pflegemutter. Und weiter: „Ich habe schnell Windeln geholt. Alles andere werden die ja wohl dabeihaben, dachte ich mir.“

Von wegen. Nur eine Tüte mit wenigen Klamotten, ein Fläschchen und ein halbes Paket Milchpulver. Carla regt sich noch immer auf: „Sie erzählten, der Säugling habe zum letzten Mal vor fünf Stunden getrunken.“ So schnell wie die Damen vom Jugendamt gekommen waren, so schnell verschwanden sie auch wieder. „Ich habe immer wieder den Kontakt gesucht“, klagt Carla. Nur der Allgemeine Soziale Dienst, der das Kind zunächst in Obhut genommen hatte, habe reagiert und seine Verzweiflung gezeigt, dass man einfach nicht weiterkomme. Obwohl es Vorschrift sei, dass der Pflegekinderdienst innerhalb von drei Wochen überprüfen müsse, wo das Kind hingekommen sei. Das sei definitiv eine illegale Inobhutnahme, habe der Pflegekinderdienst verlauten lassen.

Selbst das Gericht, das innerhalb von vier Wochen über den weiteren Verbleib hätte entscheiden müssen, zucke desinteressiert mit den Achseln. Man sei sich der Tatsache, dass es sich um unrechtmäßige Inobhutnahme handele, bewusst. Man habe aber schlicht keine Zeit. Man könne doch froh sein, dass die Pflegemutter das Kind genommen habe, sonst wäre es tot. Die leibliche Mutter sei sowieso unauffindbar. Außerdem überlege man, ob man den Fall an das örtliche Gericht abgebe, wo sich das Baby nun aufhalte. 

Carla empört über die lapidare Haltung des Gerichts engagierte dann einfach auf eigene Faust die Hebamme, marschierte zum Kinderarzt und buchte für den Säugling, der inzwischen zu einem propperen Baby geworden ist, Physiotherapiestunden. „Die würden das Baby gar nicht mehr erkennen“, sagt die Pflegemutter. Deshalb schickt sie sicherheitshalber immer wieder Fotos ans Amt.

Finanziell sieht es nicht minder düster aus. Die aufgelaufenen Kosten betragen inzwischen fast 4000 Euro. Carla hat noch nicht einen Cent gesehen. Sie weiß von Pflegeeltern, die schon seit 18 Monaten auf das Pflegegeld warten. Carla überlegt nun, ob sie eine Untätigkeitsklage einreicht.

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Damals hat man als Vater kaum eine Chance gehabt

Trotz all ihres empfundenen Unglücks, ihrer Pein und ihrer Sorgen um ihre FASD-Kinder haben Pflegemütter und Pflegeväter einen entscheidenden Vorteil gegenüber leiblichen Eltern: Sie sind frei von Schuldgefühlen, das eigene Kind geschädigt zu haben. Was aber ist mit den leiblichen Eltern? Wie gehen sie mit ihrer Verzweiflung, ihrer Scham und ihrem Kummer um? Es gehört unglaublich viel Mut dazu, sich dieser Thematik Dritten gegenüber zu stellen. Erst recht unter vollem Namen, noch dazu, wenn man nicht ganz unprominent ist. Millionen Deutsche kennen Jasper, den Pinguin, ein Star des Kultprogramms „Die Sendung mit der Maus”. Ganz zu schweigen von der Trickfilmreihe „Werner – das muss kesseln“. Udo Beissel, der Regisseur und Drehbuchautor hat die Gestalten mit zum Leben erweckt. Ja, das ist die glorreiche Seite seines Lebens. Die unrühmliche, die das Leben immer wieder zur Hölle gemacht hat und immer noch macht, der hat er sich, der er sich inzwischen bis aufs Messer für FASD-Betroffene einsetzt, mutig in einem Gespräch gestellt.  

Udo Beissel ist Vater dreier Söhne und will sich gar nicht vorstellen, was wäre, wenn die Mutter seiner beiden älteren Jungs die Diagnose eines Fetalen Alkoholsyndroms beim jüngeren und die Verdachtsdiagnose beim älteren noch erlebt hätte. Denn sie sei zum Zeitpunkt ihres Todes 2015 eine therapieresistente Alkoholikerin gewesen, die ihre Sucht schon immer verharmlost habe. Sie sei weder bereit noch fähig gewesen wäre, ausgerechnet jetzt dafür Verantwortung zu übernehmen. Dass es einen Zusammenhang zwischen fetalen Alkoholschäden und den immer krasser werdenden Schwierigkeiten bei der Verselbstständigung ihrer inzwischen erwachsenen Söhne geben könnte, hätte sie mit Sicherheit geleugnet, vermutet er und sagt: „Ihre Familie tut es bis heute.“ 

Wie viele andere betroffene Angehörige ist auch der in Hamburg lebende Udo Beissel eher zufällig auf diesen Zusammenhang gestoßen. Seine damalige Lebensgefährtin hatte zum ersten Mal einen Verdacht geäußert. Bis dahin hatte es zwar schon allerlei Frühförderungen, Schulprobleme, ADHS-Diagnosen, Einzel- und Familientherapien gegeben. Auch hatte sich – ausgelöst durch Cannabis-Konsum – die psychische Erkrankung des jüngeren schon etabliert, so dass sich viele seiner Probleme allein dadurch erklären ließen. Die Eskalation von Geld- und Drogenproblemen und die zur Regelmäßigkeit werdenden Abbrüche aller Formen von Arbeit und Ausbildung hatten jedoch weder die Lebensgefährtin noch die Mutter mitbekommen. Auch dem Vater wurde erst mit dieser Diagnose bewusst, welchen Anteil der Alkoholkonsum der verstorbenen Mutter daran hat, dass bestimmte irreversible Defizite schon seit Geburt bestanden. 

Nach der Diagnose war die Erleichterung erst einmal groß, endlich zu wissen, warum alles immer so anstrengend gewesen war und dass es noch eine andere Erklärung für die zahlreichen familiären Dysfunktionalitäten gab. Doch schnell folgte die harte Selbsterkenntnis, dass manche Entscheidung hätte anders gefällt werden müssen. Es stellten sich die gnadenlose Fragen: Hätte sich bei intensiverer Fürsorge manches vermeiden lassen? Hat das Unwissen nicht weitere Traumatisierungen bewirkt? Durch permanente Überforderung? Falsche Erwartungen? Beinahe tägliche Überreaktionen auf die typischen Defizite einer solchen Behinderung? Wäre zumindest die Entwicklung von psychischen Erkrankungen, die schon bald im Vordergrund standen und sowohl den Alltag bestimmten als auch regelmäßige psychiatrische Versorgung erforderten, vermeidbar gewesen?  

„Bei aller Erkenntnis, dass man dieses Ausmaß nicht hätte ahnen können“ macht sich der Vater heute trotzdem gelegentlich Vorwürfe: „Hätte ich von fetalen Alkoholschäden gewusst und wäre ich damals so wehrfähig gewesen wie heute, hätte ich schon ein Jahr nach unserer frühen Trennung sagen müssen, ich nehme die Kinder und schmeiß’ meine Karriere. Das habe ich nicht konsequent genug durchgesetzt und da bin ich auch nicht stolz drauf.”

Stattdessen ließ er zu, dass die Kinder in den ersten Jahren hauptsächlich bei der Mutter lebten. Udo Beissel, inzwischen 61 Jahre alt: “Ich war zwar beim Jugendamt und habe die Mutter angeschwärzt, dass sie ständig betrunken ist und die Kinder verwahrlosen. Aber da hieß es immer nur – die Mutter ist die Mutter. Lieber eine “nicht so gute als gar keine.“ Damals stand das ‘Mutter-Argument’ noch über allem, man habe als Vater kaum eine Chance gehabt. 

Erst einen längeren Aufenthalt der Mutter in der Psychiatrie konnte er nutzen, die Kinder dauerhaft zu sich zu holen. Da waren die Kinder bereits gute vier bzw. fünf Jahre alt. Das alleinige Sorgerecht habe er aber trotz psychischer Erkrankung und zunehmenden Alkoholproblemen der Mutter nie bekommen. Noch nicht einmal das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Dadurch “haben die Kinder öfter als es verantwortlich gewesen wäre, den Verfall ihrer Mutter miterlebt.” Und das bis zu ihrem Tod. Da waren die beiden schon erwachsen. Udos bittere Bilanz: “Den Schaden, den allein das angerichtet hat, kann ich mir heute jeden Tag angucken. Das ist nicht einfach.”

Aber zurück auf Start der Familiengeschichte. Man war Anfang dreißig und genoss die Lebenslust und Freizügigkeit der Künstlerszene. Alkohol sei da nichts Besonderes gewesen und geraucht wurde „wie nichts Gutes“. Und dann, ja, wie das Leben so spielt, plötzlich schwanger. Udo: “Es war zwar nicht geplant, aber abhauen gilt nicht. Und warum eigentlich nicht jetzt? Der Job stimmte, die Mutter war eine heiße Liebe, es gab viele Gemeinsamkeiten. Zudem sei sie beim ersten Kind so richtig aufgeblüht und hat sich erst mal verhalten wie die meisten Frauen, die dann zurückschalten, auch mit Kippen und Alkohol.“

Wie immer mehr werdende Väter zu der Zeit ging der werdende Vater mit zum Frauenarzt, der, so Udo, wörtlich meinte: “Wenn Ihre Frau bis jetzt geraucht und getrunken hat, dann sei das okay, aber sie sollte es schon reduzieren. Sie müsste nicht ganz aufhören. Das wäre für das Kind ja auch Stress. Den Stress, den sie selbst hätte, wenn sie ganz aufhören würde, den würde sie ja an das Kind weitergeben.” Aus heutiger Sicht war das für Udo ein Freibrief dafür, dass seine Frau zum Essen oder zur Entspannung mal ein Glas Wein trinken und eine Zigarette dabei rauchen durfte. 

Wie Udo heute weiß, war es wohl meistens wesentlich mehr. Er hatte es beim ersten Kind nur nicht so wirklich mitbekommen: “Ich war beruflich ein halbes Jahr in Korea und durfte alle paar Wochen auf Heimaturlaub, dann wieder sechs Wochen weg, wieder kurz da, wieder weg, usw.” Inzwischen weiß er von einem Freund, der ihm seine Aussage als Unterlage für eine FASD-Diagnose sogar schriftlich gegeben hat, dass sie mehr getrunken hat, als der Arzt wohl erlaubt hätte. “Damals hat man ja noch nicht gewusst, dass man gar nichts trinken sollte.”

Biographie-Sprung wieder zur zweiten Schwangerschaft. “Da hatten wir richtig Stress wegen des Rauchens und Trinkens. Sie wollte dieses Kind nicht. Sie hat es anfangs sogar versucht wegzutrinken. Dass sie es so sehr nicht wollte, das habe ich unterschätzt. Ich hatte ihr dann gesagt, mach‘ es lieber weg. Aber da war es schon zu spät, sie war schon im vierten Monat.“ Als das zweite Kind auf die Welt kam, zeigte die Hebamme dem Vater den schon sehr abgestorbenen Mutterkuchen mit dem Hinweis, der verlöre bei Raucherinnen schneller seine Funktion. Udo wundert sich bis heute, dass von Alkohol überhaupt keine Rede gewesen sei. Und so sei im Gelben Heft lediglich vermerkt worden, dass das Kind anfangs kleiner und schmächtiger war wegen des Rauchens. Das blieb dann so, bis zur Pubertät. Das gelbe Heft ging irgendwann irgendwo verloren.

Mit dem zweiten Kind habe sich relativ schnell herausgestellt, dass die Mutter völlig überfordert war. Ihre psychische Erkrankung brach sich jetzt so richtig Bahn, ebenso der Alkoholkonsum. Es folgte die Trennung und mit den Jungs ein ewiges Hin und Her mit viel Stress. In einer manischen Phase habe sie ihren Traum von einem sonnigen Leben auf Mallorca umgesetzt. Udo wollte sie zunächst verklagen, hat aber dann das halbe Sorgerecht gegen seine Zustimmung getauscht. Mit der kühlen Kalkulation: „Wenn sie da besser leben kann, ist das für die Kinder gut und ich werde mir einen zweiten Wohnsitz basteln. Wenn sie es nicht schafft, sind die Kinder nach ein paar Monaten bei mir.“ Es war letzteres und hatte genau vier Monate gedauert. In einer der Manie folgenden schwer depressiven Phase holte er die schon verwahrlosten Kinder ab, löste die Wohnung auf und schickte die Mutter zu ihrer Familie, die sie zunächst in die Psychiatrie einwiesen. 

Nach einem Jahr kam sie nach Hamburg zurück. Das Gerangel um das Sorgerecht ging wieder los, nur dass die Kinder jetzt beim Vater lebten. Kein therapeutischer Erfolg. Kein Erfolg dabei, sich jetzt wenigstens das Aufenthaltsbestimmungsrecht zu besorgen. “Irgendwann hat sie sich dann wieder abgesetzt, diesmal nach Teneriffa und ohne die Kinder. Wieder war es die Sonne und überhaupt die südliche Lebensart. Das würde ihr Leben ändern.“ Als das erhoffte Glück nach mehreren Jahren nicht eingetreten war – die Jungs haben sie nur wenige Male besucht – kehrte sie 2015 „recht runtergerockt“ wieder zurück in die Hansestadt und hauste in einem billigen Hotel hinter der Reeperbahn. Ihr Wohnzimmer war die Hotelbar. Da seien dann auch die Kinder hin, wenn sie ihre Mutter hin und wieder sehen wollten. Es habe zwar eher weniger Mutterliebe gegeben, aber dafür einen Extra-Zwanni; meistens. 

„Das war ein einziges Elend”, erinnert sich Udo, “ich habe sie immer mehr gehasst und mich selbst auch, am meisten dafür, weil ich es nicht verhindern konnte. Hass zwischen Eltern ist für Kinder unverdaulich. Das können sie überhaupt nicht verarbeiten. Das kompensieren sie über alle möglichen Sachen. Ich habe zwar mit den Jungs darüber geredet, als sie älter waren. Es gab auch Verständnis. Aber gelöst ist das Ganze nicht.” Immerhin sei mit ihrem Tod endlich der Hass auf sie entschwunden. Trauer habe er keine empfunden, nur Erleichterung. 

Zwischen alleinerziehend und alleinerziehend gab es einige Jahre Patchworkfamilie mit der Frau seines gerade geborenen dritten Sohnes. Udo: “Die Rollen waren dabei klar. Ich gehe schuften und bringe das Geld nach Hause, sie nimmt noch meine beiden anderen Kinder unter die Fittiche.” Die Trennung folgte nach einigen Jahren. „Wir haben es leider nicht hinbekommen, das zu meistern.“ Mit der abrupt einsetzenden Pubertät der Jungs verschlimmerten sich die Verhaltensauffälligkeiten, was unter anderem mehrere Schulwechsel nach sich zog. 

Erst Udos nächste Partnerin, eine Kinderpsychologin, kam auf die Spur, dass es sich nicht nur um soziale Defizite und Traumata handeln könnte, sondern um fetale Alkoholschäden. Sie schleppte den Vater auf ein Fortbildungsseminar. Alles, was er dort hörte, passte auf seine Jungs. Allerdings war zu diesem Zeitpunkt bei einem der Söhne eine erste Psychose durch Drogenmissbrauch ausgebrochen. “Das hat die folgenden Jahre den Verdacht auf fetale Alkoholschäden verdeckt”, kommentiert Udo. Erst als die Jungs volljährig waren, das dritte Kind mit zwölf Jahren kognitiv und emotional schon reifer war als die beiden älteren, es bei ihnen sogar Entwicklungsrückschritte gab, sei der Groschen gefallen. 

Zu spät für die Jungs. “Wer will schon eine solche Diagnose angehängt kriegen als junger Mann? Zumal der Vater der Einzige zu sein scheint, der das dauernd überall erwähnt. Alle anderen im persönlichen Umfeld haben noch nie davon gehört, finden das Gewese darum übertrieben oder ignorieren es einfach“, beschreibt Udo die Situation. Das sei den Jungs gerade recht gekommen: Man sei doch nicht behindert und hofft, dass der böse Traum irgendwann vorbei ist und der Vater sich ein neues Hobby suche, beschreibt Udo Beissel die Einstellung seiner Söhne. 

Inzwischen sind die beiden Jungs 27 und 28 Jahre alt, arbeitslos, bzw. arbeitsunfähig nach diversen Abbrüchen und Rausschmissen, nehmen dauerhaft wechselnde Psychopharmaka, haben ein Drogenproblem und landen immer wieder in der Psychiatrie. Es gab medizinische Rehas, überforderte gesetzliche Betreuer, ambulante Unterstützungen wären nötig, werden aber von den Söhnen abgelehnt. Die Realität sehe so aus: Ohne Drogentherapie keine Eingliederungsmaßnahmen, ohne Compliance keine Nachsicht in egal welchem Umfeld, wenn wieder mal Regeln nicht eingehalten wurden. Udos ernüchterndes Fazit: „Ziemlich alles wurde versucht, nichts hat funktioniert.“ 

Immerhin, auch wenn es ein schwacher Trost sei, sieht der Vater klarer. Seit dem Wissen um die hirnorganischen Schäden gehe man anders mit den Jungs um. Der Dreifach-Vater: “Wenn man nicht weiß, dass man Kinder mit FASD hat, dann überfordert man sie ja ständig und nimmt Provokationen und Beschimpfungen persönlich. Willst Du nicht oder kannst Du nicht? – das war irgendwann mein Lieblingsspruch, wenn alltäglichste Vereinbarungen wieder wie vergessen waren. Und das hat man ja eher gebrüllt, mit pochender Halsschlagader und Blutrauschen im Ohr. Und wenn ich dann in den Spiegel geschaut habe, habe ich mich gefragt, bin ich das noch, war ich das eben?”

Wie hat die weitere Familie auf die Diagnose reagiert? Udo Beissel: “Die Geschwister der Mutter wussten immer, dass ihre Schwester schwer psychisch krank ist, sie wussten, dass sie ein Alkoholproblem hatte. Als ich dann kam und sagte, die Kinder haben FASD, haben die gesagt, das stimmt nicht. Eigentlich wäre ich schuld. Die Jungs hätten doch die meiste Zeit bei mir gelebt. Du hast versagt. Inzwischen habe ich es aufgegeben sie zu überzeugen. Es gibt kaum noch Kontakt zu den Kindern. Traurig das alles.”

Und wie gehen die Jungs selbst damit um? Udo: “Der Ältere lebt zunehmend in einer Blase, in die bald keiner mehr hineinfindet. Seine Betreuer waren bisher schon damit überfordert, allein seine Lage richtig einzuschätzen. Hilfe bräuchte er keine, zu einer Therapie kommt es erst gar nicht. Seine paranoide Schizophrenie vernebelt zusätzlich seine kognitiven Fähigkeiten. Der Jüngere versucht immer wieder, doch mehr aus seinem Tag zu machen. Ihn frustriert es, wenn er das trotz einiger Ressourcen immer wieder nicht schafft, versucht es aber – chapeaux – immer wieder.“ Er habe inzwischen eingesehen, dass Drogen alles noch schlimmer machten und lasse sich auf vieles ein. Auf jeden Fall eine Chance, die der Vater mit allem unterstütze, weil er fest daran glaubt, dass er mit dieser Einstellung und der richtigen Hilfe ziemlich normal leben könnte, vor allem zufriedener. 

Beide Jungs reden sie nicht gerne darüber, dass sie Probleme haben. Aus Scham, aber auch aus mangelnder Selbsteinschätzung. „Sie lernen nicht wirklich aus ihren Fehlern”, so der Vater. Jeder lebe in einer kleinen Wohnung, finanziert aus einem Erbe, das bald zur Neige geht.” Trotz Mitgefühl und Verständnis seien die Grenzen des Kümmerns erreicht. Udo meint, es würde erst dauerhaft besser und lebenswert für beiden Seiten, wenn sie in einem Umfeld leben, welches die Strukturen eines Dorfes nachahmt und die Geborgenheit einer Großfamilie ausstrahlt: „Vielleicht schaffe ich dahingehend noch was, bevor der Kalk rieselt.“ 

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Du bist volljährig – sieh’ zu, wie Du klar kommst

Jenny, wie sie zumeist genannt wird, mit 25 Jahren eigentlich noch ein Küken, ist „wahrhaftig aber schon eine alte Seele“, wie sie über sich selbst sagt. Im Gespräch mit ihr wird schnell klar, warum sie das meint. Ihre Biografie ist alles andere als mal eben mit ein paar Zeilen beschrieben. Jenny kommt aus sehr gutem hanseatischem Hause. Als ihre Eltern sich in einer Klinik kennenlernen, brennen sie sofort leidenschaftlich füreinander. 1996 erblickt Jenny das Licht der Welt und das Drama, in dem sie die Hauptrolle spielt, beginnt. 

Schon nach der Geburt macht Jenny ihren ersten Entzug durch. „Meine Mutter ist Alkoholikerin“, sagt Jenny, „und will angeblich von der Schwangerschaft nichts gewusst haben bis zum Ende des achten Monats, als der Arzt ihr verkündet, dass sie bald ein Kind bekommen werde. Heißt, ich bin neun Monate im Alkohol geschwommen“, kommentiert Jenny trocken, „für die Verhältnisse bin ich körperlich eigentlich noch gut weggekommen.“ Jennys Zehen sind nicht fertig ausgebildet, sie sind zusammengewachsen, die Zehennägel fehlen fast komplett. Außerdem hat sie drei Nieren, was Jenny „eigentlich ganz praktisch findet“. Und: „Im Gesicht sieht man es mir auch an.“ Zum Zeitpunkt des Interviews lebt Jenny in Berlin und ist eine gefragte Synchroncutterin und Music-Artist.

Jenny, was weißt Du über Deinen Start ins Leben?

Jenny: Nach der Hochzeit meiner Eltern hat sich mein Vater recht schnell von meiner Mutter getrennt. Ist ja auch nicht leicht, mit einer Alkoholikerin zusammenzuleben. Ich lebte also alleine bei ihr. Sie hat mich logischerweise völlig vernachlässigt. Ich habe nur geschrien, weil ich einen Entzug durchgemacht habe. Nach etwa eineinhalb Jahren hat sich die Nachbarin zum Glück ans Jugendamt gewandt und gesagt, wenn sie jetzt nicht eingreifen, dann stirbt dieses Kind. Meine Mutter hat mich ja auch in Kneipen vergessen. Wie das halt so läuft.

Die vom Jugendamt haben mich dann auch da rausgeholt, von einem zum Nächsten weitergereicht. Ich war wohl ganz süß, aber ich habe nur geschrien. Das war nicht auszuhalten. So bin ich irgendwann in einer Pflegefamilie gelandet.

Was war das für eine Pflegefamilie?

Jenny: Sie war alleinerziehend und hatte einen leiblichen Sohn, vier Jahre älter als ich, und lebte in einer Hamburger Erbsengegend. Natürlich hat sie ihn bevorzugt. Klar, war ja auch ihr leibliches Kind. Aber ich war auch extrem verhaltensauffällig. Sie wusste überhaupt nicht, was mit mir los ist. Sie hat mich von einem Psychologen zum nächsten geschleppt. Bis ich zehn war, bin ich auch da geblieben. Sie sagte mir immer, dass ich widerlich bin und niemals lebensfähig sein werde. Sie wurde mir gegenüber immer wieder gewalttätig.

Mein „Bruder“ hat dann, als ich acht war, angefangen mit sexuellen Übergriffen, was ich damals noch nicht so richtig verstanden habe. Der hat mich immer mit Süßigkeiten bestochen, weil ich damals nicht so viel zu essen bekommen habe. Insgesamt habe ich es vermieden, allzu viel zu Hause zu sein. Ich habe meine Kindheit vor allem auf dem Spielplatz und in der Schule verbracht. Was ganz süß war, waren die Eltern von Freunden, die haben ihre Kinder auf den Spielplatz geschickt und gesagt, hol‘ mal Jenny zum Essen rein‘. Ich habe tatsächlich Unterstützung von Seiten bekommen, wo ich es nie erwartet hätte.

Wie lange ging dieses Martyrium?

Jenny: Als ich zehn war, meinte meine Pflegemutter, sie könne mich sozusagen nicht durch die ganze Pubertät prügeln. Und dann war ich endlich bei der Sitzung mit dem Jugendamt dabei, was ich eingefordert hatte, denn es ging ja schließlich um mich. Bisher hatte mich niemand gefragt, was ich denn eigentlich will. Ich wollte normal sein, irgendwie, auch wenn ich wusste, dass ich nicht normal bin, aber ich wollte in eine normale Pflegefamilie. Das ging aber nicht. Also kam ich ins Kinderheim. Das war dort echt gut. Da waren super Pädagogen. Fünf Jahre lebte ich dort. Die haben mich echt auf Kurs gebracht. Obwohl ich eine schwere Pubertät mit mehreren Selbstmordversuchen hatte.

Trotz der Alkoholkrankheit Deiner Mutter ist niemand auf die Idee gekommen, was mit Dir ist?

Jenny: Aufgrund persönlicher Kontakte bin ich, da war ich 14 Jahre, mit meiner Omi zu Hans-Ludwig Spohr (seinerzeit Professor an der Charité und einer der führenden FAS-Experten mit internationalem Renommee) nach Berlin. Er stellte die Diagnose.

Wie hast Du auf die Diagnose reagiert?

Jenny: Als ich die Diagnose hatte, klar, hatte ich erst einmal Panik. Es wurde von Behinderung gesprochen. Und das wurde von mir gleichgesetzt, weil die Gesellschaft das so suggeriert, gleichgesetzt mit nicht gesellschaftsfähig und nicht lebensfähig und nicht eigenständig. Ich hatte aber auch sofort Angst, mich damit zu entschuldigen. Das wollte ich nicht. Ich habe sofort angefangen, mich selber über das Fetale Alkoholsyndrom schlauzumachen. Sobald dann diese Akzeptanz kam, dieses innere Okay, das ist jetzt nun mal so, hieß es für mich: lernen damit umzugehen.

Wie lange hast Du dafür gebraucht?

Jenny: Das war schon ein Prozess und auch eine spannende Entwicklung meiner Persönlichkeit. Ich habe gar nicht mit so vielen Menschen darüber gesprochen, weil ich das gerne mit mir ausmachen wollte. Ich hatte aber immer wieder die Angst, dass ich mich damit entschuldige, und sage, ja, na und, ich bin nun mal behindert. Das wollte ich nicht. Nie. Ich wollte das Beste daraus machen. Ich habe mir den Prozess gegeben. Ich musste mich jetzt noch einmal neu kennenlernen. Ich habe wirklich noch einmal ganz von vorne angefangen. Das war wirklich ein ganz faszinierender Prozess. Auch jetzt im Rückblick.

Was, denkst Du, unterscheidet Dich von anderen, positiv wie negativ?

Jenny: Was mich klar unterscheidet, ist meine geistige Reife. Ich bin dadurch, dass ich im Grunde keine Eltern hatte, und dadurch mein Weltbild so anders ist, weil ich nichts vorgegeben bekommen habe, dadurch bin ich so unglaublich frei, vorurteilsfrei. Und empathisch bin ich. Das ermöglicht es mir, einen ganz anderen Zugang zu Menschen zu haben. Ich merke es jeden Tag. Ich habe den Vorteil, alle frei und nicht wertend anzunehmen. Man kann nichts be- oder verurteilen, was man nicht probiert hat. Andere haben schon eine Meinung, ohne es je probiert zu haben, und das hängt meiner Meinung nach mit der Beeinflussung durch die Eltern zusammen. Ich bin sehr offen und zugänglich. Nur wenn mir Mitleid entgegengebracht wird, macht mich das eher wütend.

Bist Du leicht zu verleiten?

Jenny: Früher ganz doll. Gruppenzwang war ganz doll. Inzwischen nicht mehr so. Kommt darauf an. Ich habe gelernt, Nein zu sagen. Das kam aber auch über das Thema Selbstliebe, Selbstakzeptanz und Respekt. Ich bin stolz, dass ich mir das im Leben habe erarbeiten können.

Hast Du einen Schulabschluss?

Jenny: Schule war echt schwer. Ich hatte die klare Empfehlung Gymnasium. Aber ich wollte nicht. Ich wollte lieber auf die Gesamtschule, da ich der Überzeugung war, dass dort weniger Leistungsdruck herrschen würde. Aber es kam anders. Ich bin ja dann in Blankenese mit den ganzen Bonzen in die Schule gegangen und dann habe ich auch mehr von meiner eigenen Familie mitgekriegt. Zunächst war ich ja eigentlich in Armut aufgewachsen. In Blankenese habe ich dann erfahren, was Geld ist. Aber auch: dass Geld nicht glücklich macht. Und dass du mit Geld nichts kaufen kannst, was eigentlich wichtig im Leben ist. Das war unglaublich befreiend.

Auch wenn das schwierig war für mich mit den ganzen Bonzen. Aber schließlich hat sich dort eine tolle Clique formiert. Sie sind alle bei mir im Kinderheim ein- und ausgegangen, wir haben alle Geburtstage miteinander gefeiert und uns in den Sommerferien auf Sylt getroffen. Mit einigen von ihnen bin ich heute noch freund- schaftlich verbunden.

Was war eigentlich mit Deiner Verwandtschaft?

Jenny: Meine Verwandtschaft glaubte nicht, dass aus mir mal was wird. Ich komme aus einer sehr alten Familie, da herrscht sehr sehr viel Druck. Im Internat war ich Klassenbeste und wenn ich mit einer Eins minus nach Hause kam, hieß es nur, das hätte aber auch noch besser sein können.

Mit 15 Jahren bin ich ins Internat in die Lüneburger Heide, weil ich dachte, es tut mir gut, so eine Art Bootcamp, dachte, ich brauche ein soziales Gefüge. Hab‘ ich gedacht, aber: Ich bin durch die Hölle gegangen. Heute bin ich mit einigen Leuten von damals gut befreundet. Aber seinerzeit war das für mich wirklich wie ein Bootcamp. Ich hab dann drauf geschissen und habe gedacht, ich werde jetzt mal von der Klassenbesten zu versetzungsgefährdet.

Sie haben mich aber trotzdem versetzt, weil Privatschule und weil alle Lehrer wussten, dass ich es eigentlich alles drauf habe, aber ich das nur wegen meiner Familie mache, weil die mir so einen Druck machen. Nie war denen was gut genug. Ich habe da viel Scheiße gebaut. Mit 18 Jahren bin ich von der Schule geflogen.

Ab da, so geht der Klassiker, hat man Dir gesagt: Du bist volljährig, sieh‘ zu, wie Du klar kommst?

Jenny: Exakt. Dann saß ich da beim Jugendamt. Die sagten, du musst jetzt selber klar kommen. Du musst jetzt selber eine Schule finden, selber sehen, wo du unterkommst und selber sehen, wie du das alles bezahlst, beantrage doch erst mal Hartz IV. Mein Onkel, der bis dato für mich Vormund gewesen war, der sagte zu mir: So Jenny, du bist jetzt 18, dann guck‘, wie du klar kommst. Ich helfe dir gerne bei bürokratischen Dingen, aber ansonsten viel Spaß in deinem Leben. Ich sag‘ dir, ich war echt am Kämpfen. Denn, und das ist ja typisch für FAS, man tut sich schwer, um Hilfe zu bitten, man kapselt sich ab, man igelt sich ein und ist irgendwann nicht mehr erreichbar.

Schwer verständlich für Menschen, die sich mit den Auswirkungen von fetalen Alkoholschäden nicht auskennen. Heute habe ich übrigens wieder ein super Verhältnis zu meinem Onkel. Heute weiß ich auch, dass er immer sein Bestes für mich gegeben hat, und das war nicht immer einfach.

Ich habe mir dann ein Gymnasium gesucht. Gott sei Dank gab es noch meine Omi. Mein Arbeitslosenantrag wurde nämlich erst einmal zweimal hintereinander abgelehnt mit der Begründung, dass meine Familie ja so vermögend sei. Omi hat mir dann meine Unterkunft auf einem Reiterhof bei Uelzen bezahlt. Ich musste morgens um halb fünf Uhr aufstehen, um mit dem Bus in die Schule zu kommen, nachmittags wieder zurück, musste mich bis abends um 21 Uhr um die Pferde kümmern, dann essen, dann ins Bett.

Klar, als FASler bin ich dann irgendwann ausgebrochen. Ich bin zwar morgens noch mit dem Bus los, aber nicht in die Schule, sondern in irgendeine Raucherkneipe und habe da den ganzen Tag Weißwein getrunken, Zigaretten geraucht und täglich so 18 Seiten Tagebuch geschrieben. Es ging mir so schlecht. Das war die härteste Phase meines Lebens.

Wie hast Du die Kurve gekriegt?

Jenny: Ich bin dann zu meiner Omi zurück nach Hamburg gezogen. Außerdem habe ich einen Mann kennengelernt, der mich da rausgeholt hat. Wir waren fast fünf Jahre zusammen. Durch ihn bin ich zum Synchroncutten gekommen. Ich kann meine beiden Hirnhälften gleichzeitig benutzen. Das ist echt krass. Das ist eindeutig mein Ass im Ärmel. Ich staune echt selbst über mich, da ich doch FAS habe. Ich unterschätze mich immer.

Ich war so gut darin, dass mich mein Ausbilder schon während der Ausbildung an Firmen verkauft hat. Ich war dann so überarbeitet, dass ich den schulischen Bereich nicht mehr geschafft habe. Das war echt illegal, was der mit mir gemacht hat. Ein Jahr habe ich das durchgehalten, dann habe ich gesagt, ich kann nicht mehr. Mein FAS schlug durch. Ich wurde unzuverlässig, ich hab dauernd verpennt und kam zu spät zur Arbeit, ich kommunizierte nicht mehr, war nicht erreichbar. Typisch FAS eben – einfach weg.

Ich habe mich dann selbstständig gemacht und machte Projekte. Ich kriegte das alles ganz gut hin. Dann kam Corona und die ganze Branche klappte zusammen. Ich habe dann echt Schulden gemacht. Ich musste meine Wohnung in Berlin auf- geben und bin zu meiner Omi zurück nach Hamburg. Ab Mai 2021 kamen wieder die Jobs rein. Jetzt bin ich wieder in Berlin. Meine Jobs habe ich bis Mai 2022 durchorganisiert. Ich möchte meine Schulden zurückzahlen. Zurzeit komme ich bei Freunden unter, aber ich habe bald wieder eine eigene Wohnung. Ich habe tolle Freunde, auf die ich mich verlassen kann. Da bin ich so froh drüber.

Was hast Du mit Blick auf Deine fetalen Alkoholschäden gelernt?

Jenny: Wichtig ist, dass man von seinen Problemen nicht überflutet wird. Mit FAS kann man nicht vorausplanen. Man hangelt sich von Monat zu Monat. Da spielen so viele Faktoren eine Rolle, was den psychischen Zustand angeht. Man kann immer nur versuchen, anzugleichen, und versuchen immer wieder Luft raus- zunehmen. Überforderung ist echt Gift.

Es hilft, wenn man lernt, weitsichtiger zu sein, alles etwas besser im Überblick zu haben. Man darf es nicht riskieren, überfordert zu werden. Viele wissen aber nicht, wie sie sich davor schützen können. Außerdem sehen sie immer die anderen, wie die alles auf die Reihe kriegen. Sie selbst aber nicht. Mir ging es auch viele Jahre so. Ich habe mir aber inzwischen ein Mindset aufgebaut und einen Workflow geschaffen. Dennoch: Es bleibt ein Kampf für alle.

Wie ist heute Dein Verhältnis zu deinen Eltern?

Jenny: Meine leibliche Mutter kenne ich bis heute nicht wirklich. Ich war mal lange Jahre verbittert wütend auf sie, jetzt aber nicht mehr. Ich habe ihr verziehen. Sie kann nichts dafür, denn sie ist schwach. Sie würde sich wünschen, es besser zu machen. Es ist schwer zu akzeptieren, dass man niemals eine Mutter haben wird. Sie tut mir inzwischen nur noch leid. Aber ich halte Abstand zu ihr. Es ist leichter, keinen Kontakt zu haben. Ich hatte immer wieder versucht, mit ihr zu sprechen, aber sie ist immer betrunken.

Meinen leiblichen Vater kenne ich und habe sporadischen Kontakt, was mir sehr schwerfällt. Ich mache das nur für ihn. Er leidet unter Schizophrenie und hat eine Psychose. Das ist nicht leicht für ihn im Leben. Aber er hat es wenigstens versucht mit mir, auch wenn er es irgendwie nicht hinbekommen hat. Für mich wäre es leichter, einfach gar keinen Kontakt zu haben.

Ich mache das für ihn und meine Familie. Ich habe schon Gefühle für ihn. Ich bewundere ihn – für seine Intelligenz und seine vielen Talente. Er ist einer der gefühlvollsten Klavierspieler, die ich kenne und ich kenne viele Musiker. Ich bewundere sein unglaubliches Gedächtnis und es bricht mir das Herz zu wissen, dass er so unglaublich begnadete Talente hat und so intelligent ist, und trotzdem niemals Anschluss in der Gesellschaft finden wird aufgrund seiner Erkrankungen. Aber er hat super Gene. Und wenn er die nicht an mich weitergegeben hätte, wären die Auswirkungen des FAS bei mir noch so viel krasser.

Was bedeutet Deine Omi für Dich?

Jenny: Meine Omi hat mir Mama und Papa ersetzt. Sie ist jetzt 84 Jahre und ich habe so unglaubliche Angst davor, wenn meine Omi eines Tages von mir geht. Sie wünscht sich so sehr, dass sie in Ruhe gehen kann, dass ich mein Leben in geordneten Bahnen habe und dass jemand da ist, der mich unterstützt. Das Problem ist nämlich, dass es außer mir keinen Nachkömmling in meiner Familie gibt. Sie sind alle mindestens 30 Jahre älter. Meine Familie stirbt mir langsam weg. Und dann gibt es irgendwann nur noch mich.

Quelle: “Alkohol in der Schwangerschaft – Die unterschätzte Gefahr”, Dagmar Elsen, erschienen im Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein

Wir stellen uns nicht mehr in Frage


Bei Happy Baby haben die Berliner Zwillinge Clara und Luise, beide vom Fetalen Alkoholsyndrom betroffen, vor zwei Jahren zum ersten Mal Ihre persönliche Geschichte erzählt unter dem Titel „Wir waren so groß wie ‚ne Zuckertüte“. Es folgten hier bei uns weitere Interviews zu verschiedenen Themen, Social Media-Aktivitäten bis hin zu Fernsehauftritten. Zeit, ein Resümee zu ziehen. Ihr Lieben, das seinerzeitige Interview mit Happy Baby No Alcohol war gleichsam für Euch ein Startschuss, Euch in die Aufklärungsarbeit zu stürzen. Ihr wurdet offizielle Happy Baby-Botschafterinnen und Mitglieder im Happy Baby-Online-Beratungsteam. Ich kann mich noch gut erinnern, dass Eure Freude darüber groß war. Was war das damals für Euch für ein Gefühl, plötzlich als Botschafterinnen wahr genommen zu werden? 

Clara und Luise:

Wir können uns noch sehr genau an die Anfangszeit zurück erinnern, wo wir Dich kennenlernen durften. Relativ schnell nachdem wir Botschafterinnen geworden sind für Happy Baby No Alcohol, durften wir unsere ersten Fortbildungen absolvieren mit FASD-Fachberater Ralf Neier zusammen. Dass hat uns auch sehr viel Spaß und sehr viel Auftrieb gegeben. Wir haben viel Anerkennung und Akzeptanz bekommen. Das hat uns dann auch für die nächsten Projekte Auftrieb gegeben. Dann kam unsere Erste Doku raus unter dem Titel „Wir sind Alkoholkinder“. Darüber sind wir bis heute sehr stolz. Nach diesem Dreh ging es relativ schnell bergauf in Sachen Aufklärungsarbeit.

Seid Ihr auch selbst aktiv geworden und habt Euch für Sende-, Print- und Social Media-Formate beworben?

Clara und Luise:

Clara hat eine Sendung im Fernsehen gesehen und dachte sich dann, da würde unsere Geschichte auch sehr gut reinpassen. Und bewarb uns kurzerhand später dort. Das war die Sendung „Studio 3 – Live aus Babelsberg“. Relativ schnell kam eine positive Rückmeldung, dass Sie uns sehr gerne haben möchten. 

Wir konnten es kaum glauben, da wir dachten, ach da bewerben sich sonst wie viele, da haben wir null Chancen. Aber wir haben gemerkt, das Thema FASD bekommt einen Aha-Effekt und viele wollen mehr darüber erfahren. Danach kamen dann ein paar Anfragen über Instagram oder über unsere E-Mail rein. Nach und nach wurden wir um Umgang damit gelassener. Uns hat es richtig gefreut, dass wir jetzt langsam mit unserer Aufklärungsarbeit Menschen erreichen. Das ist ja unser Ziel.

Wie seid Ihr von den Menschen, die Ihr in diesem Zusammenhang kennengelernt habt, aufgenommen worden? War es schwierig Ihnen klar zu machen, was es bedeutet FASD zu haben? 

Clara und Luise:

Als uns die Menschen, die uns für TV oder für andere Formate haben wollten, das erste Mal begegnet sind, kam gleich die erste Frage: „Ihr sollt eine Beeinträchtigung haben? Ihr sehr doch ganz normal aus?“ Dann weiter: „Ihr könnt Euch doch sehr gut ausdrücken und habt einen enormen Wortschatz.“

Genau das gibt uns dann einen gewissen Kick, denn dann können wir genau auf dieses Pferd aufspringen und gut erklären, warum FASD so schwer erklärbar und so schwer zu akzeptieren ist. Wenn Sie das dann alles von uns hören, sind sie mehr als nur erschrocken, zugleich beeindruckt, wie wir das trotzdem alles rocken.

Welche Art von Resonanz habt Ihr auf Eure Aufklärungsarbeit bekommen?

Clara und Luise:

Wir haben bis jetzt immer ein positives Feedback bekommen. Sie waren meistens beeindruckt, dass wir mit einer Selbstverständlichkeit unser Leben so preisgeben, um für die Aufklärung so eine Transparenz zu gewähren. Sie sagen, Betroffene zu haben, die sich in die Öffentlichkeit begeben, sei einfach nur krass. Denn es gibt kein Sachbuch dieser Welt, dass Dir besser sagen kann, wie Du in welcher Situation reagieren sollst als die Betroffenen selbst. Sie sind sehr dankbar dass es uns gibt.

Was habt Ihr bislang bewegen können?

Clara und Luise:

Wir haben durch Instagram viele Betroffene, Begleiter oder auch Anlaufstellen für FASD erreichen können. Sie kontaktieren uns, wenn Sie Fragen haben, oder sind einfach Zuhörer von unserem Kanal. Wir bekommen oft das Feedback, durch uns Motivation zu bekommen weiter zu machen oder überhaupt etwas anzufangen. Denn sie sehen anhand unserer Biografie, dass so viel möglich ist.

Hat es Euer Leben etwas verändert, seit Ihr an Bekanntheit gewonnen habt?

Clara und Luise:

Seitdem wir jetzt mehr gefragt sind und wirklich in der Öffentlichkeit bekannter sind, hat sich schon für uns etwas verändert. Wir stellen uns fast gar nicht mehr die Frage, ob wir gut sind so wie wir sind. Wir sind nicht mehr ganz so schüchtern und wir sind gefühlt noch selbständiger geworden. Da wir jetzt neben der Arbeit noch viele Anfragen bekommen, die wir dann nebenbei noch planen und ausüben dürfen.

Wie fühlt es sich an, vor allem in der FASD-Community populär zu sein?

Clara und Luise:

Für uns ist es eine große Ehre für andere Betroffene so eine Art von Vorbild zu sein. Da wir so viel Kraft aus unserer eigenen Geschichte ziehen, wollen wir diese gerne weitergeben.
Ihr wollt von Ralf Neier zu FASD-Fachberaterinnen ausgebildet werden. Gibt es schon Pläne, in welcher Dimension Ihr diese Tätigkeit ausüben wollt? Schließlich habt Ihr ja auch Eure feste Arbeit als Heilerziehungspflegerinnen sowie zeitlich aufwändige Hobbies.

Clara und Luise:

Als wir die Anfrage von Ralf Neier bekommen haben, ob wir Lust hätten die Ausbildung zur FASD-Fachkraft zu machen, verloren wir keine Sekunde um Ja zu sagen. Denn für uns ist das noch ein weiterer wichtiger Schritt in unsere Zukunft, noch mehr für das FASD zu tun. Wie unsere Zukunft mit der angeschlossenen Ausbildung dann aussehen wird, können wir jetzt ja noch nicht beurteilen. Aber langfristig gesehen wollen wir sehr eng mit Betroffenen und deren Begleitern arbeiten.

Uns ist es wichtig, dass wir unseren jetzigen Beruf weiterhin ausüben dürfen, da es für uns ein Traum ist. So lange wir das alles unter einen Hut bekommen, ist das für uns überhaupt kein Problem. So lange wir das machen dürfen, was uns glücklich macht, können wir auch vieles gleichzeitig.

Das Interview führte Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Aufklärungskampagne

Wut auf mich. Und Wut auf die Gesellschaft

Der Klassiker: über Wochen hinweg nicht gewusst zu haben, schwanger zu sein. Wie gnadenlos das Schicksal zuschlagen kann, zeigt die Geschichte von Claire (Name geändert). Claire und ihr Mann wünschten sich so sehr ein Kind. Im Lauf der Jahre erlitt die heute 35-Jährige sechs Fehlgeburten. Als dann on top der Arzt eine Krebsdiagnose an den Eierstöcken diagnostizierte und dem Paar eröffnete, dass Claire nicht mehr schwanger werden könne, dachte sie, okay, dann kann ich es ja auch mal wieder krachen lassen. Bislang hatte sich die selbstständige Eltern- beraterin mit Alkoholkonsum zurückgehalten. Aber jetzt? Jetzt konnte sie ordentlich feiern gehen.

Als Claire erzählt, dass sie doch schwanger wurde, füllen sich ihre Augen mit Tränen. Es war ein Wunder und ein Schock zugleich. Claire bemerkte die Schwangerschaft erst spät. Ihr Sohn ist inzwischen sieben Jahre alt. Diagnose im Alter von sechs Jahren: fetale Alkoholschäden. Drei Jahre nach ihrem ersten Kind brachte Claire noch einen zweiten Sohn auf die Welt. Er ist gesund, da sie früh wusste, wieder schwanger zu sein.

Als Du gesehen hast, dass Du doch schwanger bist, was schoss Dir als Erstes durch den Kopf?

Claire: Ich habe sofort gedacht, Scheiße, ich habe gedacht Scheiße, weil ich eine Zigarette in der Hand hatte. In der einen Hand hatte ich den positiven Test und in der anderen die Zigarette. Ich guckte die Zigarette an und guckte diesen Test an, und dann dachte ich, verdammt, du hast letzte Woche noch Alkohol getrunken. In völliger Panik bin ich noch am selben Tag zum Arzt. Der beruhigte mich erst mal mit den Worten: Da brauchen Sie sich keine Gedanken machen, das wird keine Auswirkungen haben. Dabei war ich schon in der 13. Woche plus 3. Ich sah dieses kleine Würmchen im Ultraschall und war voller Angst. Aber der Arzt meinte: Nein, Sie wussten ja nicht, dass Sie schwanger sind, und as Kind hat es ja geschafft. Er ist wohl davon ausgegangen, dass sich das Ei sonst gar nicht eingenistet hätte. Auch weil ich ja schon vorher Fehlgeburten hatte.

Die Vorstellung, was der Alkohol anrichten kann, war zu diesem Zeitpunkt für Dich noch diffus?

Claire: Ja. Ich wusste nur, Alkohol ist nicht gut. Aber was da wirklich passiert, das war mir nicht klar. Und dem Arzt wohl auch nicht.

Hast Du dem Arzt vertraut, dass nichts passiert sein kann, oder hattest Du unterschwellig Sorge während Deiner Schwangerschaft?

Claire: Ich habe es tatsächlich völlig weggeschoben. Wahrscheinlich habe ich deshalb auch Wochenbettdepressionen bekommen, weil ich unterschwellig geahnt habe, dass ich meinem Kind etwas angetan habe. Während der Schwangerschaft war ich immer alleine. Ich durfte nicht arbeiten gehen, weil ich permanent Sodbrennen hatte. Ich hatte keine Freundinnen, die auch schwanger gewesen wä- ren. So war ich wirklich immer auf mich alleine gestellt. Es ist alles so verschwommen in der Erinnerung, so vernebelt. Wie in so einer Blase.

Wann hast Du gemerkt, hier stimmt etwas nicht?

Claire: Nachdem wir von der Entbindung zu Hause waren, ab da hat mein Kind nur noch geschrien. Das ist immer schlimmer geworden. Er hat immer mehr und immer noch mehr geschrien – bis zu zwölf Stunden am Tag.

Wie hat Dein Umfeld reagiert?

Claire: Alle haben immer nur gesagt – na ja, das ist halt so. Und ich war nur noch müde. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich das ausgehalten habe. Selbst mein Mann weiß es nicht mehr, wie wir das alles überstanden haben. Ich weiß nur noch, dass ich mich komplett abgeschirmt habe, dass ich niemand mehr an mich rangelassen habe. Es gab dann auch viel Streit mit meinem Mann.

Warst Du mal in einer Schreiambulanz?

Claire: Ja, die haben mir das Schreien angeraten, ich soll ihn schreien lassen. Später, ab dem 6. Monat kam auch eine Familienhebamme. Die hat dann Druck gemacht. Okay, du musst alles dokumentieren – wie viel Brei isst er, wie viel schläft er, und gab mir auf: Du legst ihn hin und lässt ihn konsequent schreien.

Niemand kam auf die Idee, auch kein Kinderarzt, es könne sich um FAS handeln?

Claire: Nein. Obwohl ich immer wieder darauf hingewiesen habe, dass ich Al- kohol während der Schwangerschaft getrunken habe. Sechs Jahre haben wir gekämpft, bis wir einen Arzt gefunden haben, der die richtige Diagnose gestellt hat. Unfassbar war, dass die Hebamme glaubte, ich sei gewalttätig gegenüber meinem Kind. Ab diesem Zeitpunkt habe ich keine fremde Hilfe mehr angenommen. Dann ging es weiter, dass er in der Krippe verhaltensauffällig war. Er war sehr aggressiv. Immer! Er hat sich auch selbst verletzt. Außerdem ist er auf Zehenspitzen gegangen. In der Krippe meinten sie, er sei Autist.

Alle sagten immer, wir seien schuld, wir würden zu viel klammern, wir würden zu viel streiten. Ja, wir haben uns gestritten. Aber das lag natürlich auch daran, dass wir völlig überlastet waren. Das Kind war immer fordernd. Immer!
Wir haben dann einen Integrationshelfer beantragt. Und wir sind ins Sozialpäd- iatrische Zentrum. Aber wir bekamen ständig nur zu hören: Sie sollten mal Ihre Erziehung ändern. Als mein Sohn zwei Jahre alt war, hieß es, er muss doch jetzt mal trocken sein, und der Schnuller muss weg. Ich sagte nur, wenn der keinen Schnuller haben darf, dann rastet der total aus. Ich bekam nur noch Zweifel an mir selber wegen der Erziehung.

Dann kam die entscheidende Wende. Ich stieß auf Instagram auf die Kampagne „Happy Baby No Alcohol“ und begann zu recherchieren.

Ihr seid zu einem FAS-Spezialisten gegangen. Wie habt Ihr die Diagnose aufgenommen?

Claire: Die Diagnose kam per Post. Der Arzt hatte aber schon die Vermutung geäußert. Ich nahm den Brief mit ins Bad. Dort war gerade mein Mann. Ich setzte mich auf den Badewannenrand. Ich war total aufgeregt. Wie schon bei der Dia- gnostik. Denn ich dachte, jetzt passiert das, was mein Gefühl mir schon immer gesagt hat.

Ich fange an, diesen Brief vorzulesen, und merke, wie mir lautlos die Tränen aus den Augen schießen, ich den Badewannenrand runterrutsche, vor lauter Tränen gar nichts mehr sehen und dann auch nicht mehr sprechen kann. Mein Mann guckt mich an und sagt: Schatz, ja, das ist schlimm, aber du hast keine Schuld. Ich weiß, dass dir das unheimlich wehtut. Aber du kämpfst, und du bist so stark. Es war so unfassbar. Er war so toll zu mir. Aber ich war total verkrampft und nur noch am Weinen.

Ich erlebte solch ein Gefühlschaos, das sich im Kreis drehte: Du hast dein Kind geschädigt, du bist eine schlechte Mutter. Aber du hast es doch nicht mit Absicht gemacht. Sobald du erfahren hast, dass du schwanger bist, hast du sofort aufgehört, du hast penibel drauf geachtet, was du isst. Du hast ja auch bei dem anderen Kind nicht getrunken, weil du viel früher wusstest, dass du schwanger bist. Und der Junge ist gesund. Du musst dir keine Vorwürfe machen. Gott sei Dank haben wir jetzt die Diagnose, die Bestätigung, dass es nicht an mir liegt, dass das Kind nicht so funktioniert, wie die Gesellschaft es gerne möchte. Gott sei Dank haben wir jetzt jemanden, von dem ich weiß, dass ich Hilfe bekomme.

Wer hat Dich aufgefangen?

Claire: Besonders der Arzt. Der hatte mir im Gespräch gesagt: Claire, Sie sind in 15 Jahren die dritte Mutter, die dazu steht, dass sie in der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat. Alleine schon dafür gebührt Ihnen viel Respekt. Sie haben verdammt viel durchgemacht, jetzt sind Sie aber hier und wir unterstützen Sie. Und ich war so am Heulen. Ich könnte immer wieder heulen, weil der Arzt mich so aufgefangen hat.

Wichtig sind auch mein Mann und meine Mutter. Sie sagen mir immer wieder: Du hast keine Schuld. Du wusstest es nicht.

Du hattest mal mit dem Gedanken gespielt, das Kind wegzugeben, an eine Pflegefamilie. Wie kam es dazu?

Claire: Ich habe immer wieder so Phasen, wo es mir ganz ganz schlecht geht, wo ich so denke, vielleicht ist es doch besser, er lebt woanders, denn ich bin ja schuld, dass er so ist wie er ist. Wieso sollte ich dann gut für ihn sorgen können?

Auch Überforderung war ein Grund und der ständige Druck vom Kindergarten, sowie die Vorwürfe, das Kind falsch zu erziehen. Und dann noch die Sprüche anderer Menschen, von wegen „Wenn man so ein Kind hat, dann kriegt man doch kein zweites“, oder „Du musst dich halt hinten anstellen.“

Wie reagierst Du auf die Attacken?

Claire: Einerseits möchte ich aufklären, möchte ich es in die Welt schreien, wie könnt ihr nur einer Mutter, die einen Fehler gemacht hat, wie könnt ihr ihr auch noch Vorwürfe machen? Andererseits möchte ich das Kind nur beschützen. Es ist so anstrengend.

Wie haben Deine Familie und engere Freunde reagiert, als klar war, das Kind ist schwierig, weil hirnorganisch geschädigt, weil Du Alkohol getrunken hast in der Schwangerschaft?

Claire: Eigentlich gar nicht reagiert. Es gab gar nichts, keine Äußerung wie, oh, schön, dass ihr endlich eine Diagnose habt, schön, dass ihr jetzt Hilfe bekommt.

Auch kein Mitgefühl?

Claire: Nee, gar nicht. Es wird einfach totgeschwiegen!

Aber es ist doch eine Diagnose, die ein ganzes Leben verändert.

Claire: Tatsächlich ist das den Leuten nicht bewusst, was das bedeutet. Die sehen zwar, dass das Kind auffällig ist, aber sie meinen und fragen mich: Ist das nicht alles ein bisschen übertrieben, was du da machst? Suchst du die Aufmerksamkeit?
Es gibt aber auch Leute, die interessiert hinterfragen, warum ich zum Beispiel einen Schulbegleiter für das Kind habe. Es ist sehr sehr unterschiedlich.

Freunde haben wir im Prinzip gar nicht mehr. Eine Freundin gibt es, die ist immer für mich da. Aber sonst, nein. Mitgefühl gibt es gar nicht. Mein Kind ist abgestempelt seit dem Kindergarten und ich auch – dass das Kind verhaltensgestört ist, weil ich es schlecht erziehe.

Wann ist Dir klar geworden, was die Diagnose für Dein Leben bedeutet?

Claire: Das war ein schleichender Prozess, dass mir bewusst geworden ist, dass er sein Leben lang mehr Aufmerksamkeit brauchen wird. Er wird nicht alleine einen Haushalt führen können. Im Laufe der Zeit ist mir bewusst geworden, dass mein Leben anders verlaufen wird als geplant. Ich habe jetzt eine andere Verantwortung. Aber ich habe immer schon in meinem Leben Verantwortung tragen müssen. Ich hatte auch immer ein besonders ausgeprägtes Verantwortungsgefühl und Pflichtbewusstsein. Nicht umsonst bin ich aktiv bei der Freiwilligen Feuerwehr.

Verspürst Du auch manchmal Wut?

Claire, mit zitternder Stimme und Tränen in den Augen: Ja, die habe ich. Wut gegenüber der Gesellschaft. Wut gegenüber mir selbst. Also Wut ist ganz prägnant. Ich bin aber dankbar, dass ich so gut damit umgehen kann, dass die Wut einfach nur in Weinen übergeht. Ich bin wütend auf die Tatsache, dass ich gar nicht mit meinem Kind überfordert bin, sondern mit dem ganzen Drumherum – wenn ich sehe, wie Leute mein Kind behandeln, wenn ich sehe, wie Leute mich beschimpfen, die mich nicht kennen.

Realisieren Deine Kinder, dass der eine gesund ist und der andere geschädigt?

Claire: Der Große hat Gespräche mitbekommen. Er hat gefragt: Mama, was ist denn FAS? Oder: Mama, du hast Alkohol in der Schwangerschaft getrunken und deshalb ist mein Hirn kaputt, richtig? Wir haben ihm ganz klar gesagt, dass sein Kopf anders funktioniert als andere. Weswegen das so ist, das haben wir ihm noch nicht erklärt. Ich bin der Meinung, er ist noch nicht so weit, dass wir ihm alles darüber sagen können. Er ist erst sieben Jahre alt. Große Angst davor ihn aufzuklären habe ich nicht. Aber davor, dass er sicherlich in eine Phase kommen wird, in der er mich hassen und mir Vorwürfe machen wird. Ich glaube, das wird die schlimmste Phase in meinem Leben. Aber ich glaube auch, dass er sehen wird, wie ich mich für ihn eingesetzt habe und wie ich für ihn kämpfe.

Merkt Dein Kind, dass es abgelehnt wird?

Claire: Ja, das merkt er schon, weil sich andere verabreden, aber mit ihm nicht. Er bettelt. Wir als Familie können ihn recht gut auffangen. Aber er wird nicht von anderen zum Geburtstag eingeladen, oder er lädt ein und keiner kommt. Meine weitere Familie holt ihn nie zu sich, nur seinen kleinen Bruder. Das trifft auch mich. Obendrein habe ich deshalb null Unterstützung. Du musst mal ruhiger werden. Bekomme dann aber vorgeworfen, ich sei überfordert.

Quelle: “Alkohol in der Schwangerschaft – Die unterschätzte Gefahr”, von Dagmar Elsen, erschienen im Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein

Die Diagnose, die wie ein Fallbeil wirkt

„Es war ein trockener, sonniger Sommertag im August. Eigentlich ein herrlicher Tag. Doch ich, ich saß wie steif gefroren auf einem Stuhl vis-à-vis dem Arzt, der mein Kind stationär in der Klinik von Kopf bis Fuß über drei Wochen durchgecheckt hatte. Immer wieder hatte ich während dieser Zeit Fragebögen ausfüllen müssen, Lehrer meines Kindes hatten Fragebögen ausfüllen müssen, eine knappe Woche lang war auch ich immer wieder vor Ort zu Gesprächen mit und ohne mein Kind gebeten worden. Ich ahnte schon, was kommen würde. Flach atmend, aber gefasst, nahm ich die gefürchtete Diagnose entgegen: ‚Ihr Kind hat das Fetale Alkoholsyndrom. Vollbild.‘ Der Satz ‚Sein Hirn ist durchlöchert wie das eines Vollalkoholikers‘, donnert mir bis heute nach. Den werde ich auch niemals vergessen. Es war brutal. Beim Wort Vollalkoholiker liefen ostentativ Bilder in meinem Kopf ab. Bilder von heruntergekommenen Menschen, die irrationale Gedanken aussprechen, mal wirr, mal klar sind, in ihrer eigenen Welt leben, oft unfreundlich sind, viel vergessen, mit dem Leben nicht klarkommen.

Natürlich kam diese Diagnose für mich nicht überraschend. Ich war darauf vor- bereitet worden. Aber wenn sie dann ausgesprochen wird, diese Diagnose, die wie ein Fallbeil wirkt – bekommt alles, aber auch alles eine andere Dimension. Ich konnte dem Arzt gar nicht mehr richtig zuhören, sah ihn nur noch wie durch einen Schleier. Ich fühlte mich, als stürze der Himmel ein. Ich spürte, wie mir plötzlich das Blut durch die Adern schoss, als ich an die Endgültigkeit der Schäden im Hirn mei- nes Sohnes dachte. Meine Gedanken kreisten: FAS ist irreparabel. Mein Kind wird sein Leben lang mit den Folgen seiner schweren geistigen Beeinträchtigungen zu kämpfen haben. Mein geliebtes Kind wird nie selbstständig sein können. Es wird immer auf Hilfe angewiesen sein. Was soll das alles bloß werden?

Immer wieder irrlichterten Fragen durch meinen Kopf, während der Arzt zu mir sprach: Wird er überhaupt einen Schulabschluss scha en? Wird er in der Lage sein, eine Ausbildung zu absolvieren, einen Beruf ergreifen können? Wie wird sein Leben? Wird er mit seinem Schicksal klarkommen? Oh mein Gott, was wird bloß aus ihm werden? Wie lange werde ich ihn beschützen können? Ich scha te es ja jetzt schon nicht mehr allumfänglich. Es waren doch schon so viele schreckliche Dinge passiert.

Und auch diese stumme Frage tauchte vor mir auf: Was wird das alles mit mir ma- chen, mit unserer Familie? Können wir es verantworten, ihn zu Hause zu behalten? Werden wir ihn weggeben müssen? Und wohin dann? Wie wird unser Verhältnis zueinander sich verändern? Werden wir ihn gar verlieren? Die Sorgen und Ängste schnitten mir die Kehle zu. Tief in mir spürte ich, dass ich am Ende meiner Kräfte war, meine Ressourcen waren schlicht erschöpft. Ich hatte lange genug gekämpft. Die Gedanken an die Zukunft brachen mir das Herz.“

Adoptivmutter Leonie hat ihr 14 Jahre altes Kind auf dringendes Anraten der Ärzte, Pädagogen und Therapeuten nach einem dreimonatigen Klinikaufenthalt in eine Wohngruppe mit 24-Stunden-Betreuung in der Nähe ihres Wohnortes gegeben. Die familiäre Anbindung blieb intensiv. Das Verhältnis zwischen Leonie und ihrem Sohn ist bis heute liebevoll und innig, auch wenn sie im Verlauf der Jahre viele Täler zu durchqueren hatten.

Leonies Sohn ist ein klassisches Beispiel für Tausende von Kindern, denen die feta- len Alkoholschäden nicht schon bei der Geburt ins Gesicht geschrieben sind, von denen dem Arzt nicht bekannt ist, dass die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat. Und so bleiben die alkoholbedingten Behinderungen oft genug bis ins Schulalter hinein unerkannt. Den Kindern und ihren Eltern, sowie allen anderen Menschen in ihrem Umfeld ist zwar bewusst, dass sie beispielsweise Verhaltens- und Lernstörungen haben, manches nicht gut oder gar nicht können so wie andere. Dennoch führen die Kinder jahrelang ein „normales Leben unter normalen Menschen”. Als behindert gelten andere, jene, denen man ihr Handicap sofort ansieht oder anmerkt. Und dann kommt der Tag, an dem die Kinder und Jugendlichen sowie ihre Eltern plötzlich die Schockdiagnose ereilt: Fetales Alko- holsyndrom!

Weder Eltern noch ihren Sprösslingen ist dieses Krankheitsbild in aller Regel besonders vertraut. Sie betreten ein Neuland, das obendrein sehr komplex und kompliziert ist. Zudem ist das Fetale Alkoholsyndrom eine Diagnose, die das Leben aller Beteiligten für die Zukunft komplett verändert. Ängste und Sorgen beherrschen die Gedanken.

Dazu gibt es ein Interview mit dem FASD-Experten Dr. Khalid Murafi , Chefarzt der Klinik Walstedde – Seelische Gesundheit für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene: https://www.happy-baby-no-alcohol.de/2018/12/03/ploetzlich-die-schockdiagnose/

Quelle: “Alkohol in der Schwangerschaft – Die unterschätzte Gefahr”, Dagmar Elsen, erschienen im Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein

Dann heißt es immer, dass ich nur bockig bin


Ich möchte so gerne meine Geschichte erzählen, weil ich dazu beitragen möchte, dass die Gesellschaft endlich aufgeklärt wird, wie gefährlich Alkoholkonsum in der Schwangerschaft ist, selbst wenn es „nur“ ein Glas ist. Ich möchte erklären, wie es ist, wenn man mit fetalen Alkoholschäden (FASD) auf die Welt kommt, die nie mehr weggehen. Ich möchte erzählen, wie es ist, wenn das Hirn wegen der toxischen Wirkung des Alkohols zerlöchert ist. Ich habe lange Jahre epileptische Anfälle gehabt, habe mich permanent übergeben. Meine Pflegemutter erinnert sich gut an die vielen Male, an denen wir vom Kaffeetisch direkt in den Hubschrauber zur Notaufnahme sind. Da war ich noch klein. Inzwischen hat sich die Epilepsie glücklicherweise ausgewachsen. Auch meine Augen konnten operiert werden. Aber alle anderen Behinderungen sind geblieben.


Ich bin jetzt 18 Jahre alt geworden und kann nirgends einfach so alleine hingehen oder hinfahren wie andere Jugendliche in meinem Alter. Ich habe ein schrecklich schlechtes Gedächtnis und Null Orientierung. Nur wenige Wege, die ich gefühlt 1000 Mal abgelaufen bin, kann ich abspeichern und alleine bewältigen. Für alles andere brauche ich Begleitung, egal für was. Ich komme mit dem Straßenverkehr nicht zurecht, kann auch nicht rechts und links unterscheiden. Es geht alles so schnell und ist laut und die vielen Menschen überall. Da werde ich sofort kopflos. Ich fühle mich überflutet von Eindrücken und Geschehnissen. Hinzu kommt, dass ich Gleichgewichtsstörungen habe. Früher war das ganz schlimm. Da bin ich ständig hingefallen. Am heftigsten war das in der Grundschulzeit.

Deshalb, und weil ich auch sonst anders war, bin ich schrecklich gemobbt worden. Am schlimmsten war das, als sie mich als Missgeburt beschimpft und einen engen Kreis um mich gebildet haben, aus dem ich nicht herauskam. Niemand hat mir geholfen. Niemand. Ich hatte keine Freunde in der Schule. Ich bin nie zu einem Geburtstag eingeladen worden. Und wenn ich eingeladen habe, ist keiner gekommen.
Ich bin so froh, dass ich meine Pflegefamilie habe. Die sind wie eine Schutzburg für mich. In die bin ich gekommen, da war ich fünf Monate alt. Wir sind acht Kinder (drei davon sind Pflegekinder mit FASD). Ohne meine Mama und meine Pflegefamilie wäre ich lost. Ich bin so froh sie zu haben. Ohne sie wäre ich einsam. Ich habe nur eine einzige Freundin. Ich habe Angst, auf fremde Menschen zuzugehen.

Ich bin die meiste Zeit zu Hause. Ich lese alles, was mir unter die Finger kommt. Deshalb hab ich ein gutes Allgemeinwissen und kann mich gut artikulieren. Aber sonst intellektuell habe ich enorme Defizite und ich verliere schnell den Faden. Das glaubt man mir dann nicht, wenn ich sage, dass ich dies und jenes nicht kann. Dann heißt es immer, dass ich nur bockig sei. Aber das stimmt nicht. Ich bin ja auch schnell überfordert, kann mich nicht lange konzentrieren, brauche viele Pausen. Ich hasse es, wenn man mir nicht glaubt.
Zur Zeit arbeite ich in Behindertenwerkstätten. Selbst hierfür bin ich nicht belastbar genug. Wir haben meine Arbeitszeit jetzt auf 4 1/2 Stunden reduziert. Die Arbeit ist okay. Aber auch hier finde ich keinen Anschluss zu den anderen. Für die bin ich zu klar im Kopf. Die sind ganz anders behindert und leben in ihrer Welt.


Meine Erzeugermutter habe ich kennengelernt, aber ich will nichts mit ihr zu tun haben. Ich bin wütend auf sie, weil sie darauf scheißt, was sie uns – ich habe noch zwei Brüder – angetan hat. Ich werde nie alleine leben können. Ich brauche immer 1:1-Betreuung. Deshalb habe ich Angst vor der Zukunft. Das ist für mich wie eine schwarze Wand.
Ich möchte meine Geschichte auch deshalb erzählen, weil so viele Menschen FASD haben. Jede Stunde kommt in Deutschland ein Baby mit fetalen Alkoholschäden auf die Welt. Das ist Wahnsinn. Das muss aufhören. Das geht nur mit Aufklärung. Deshalb engagiere ich mich für die Kampagne Happy Baby No Alcohol.

Aufgeschrieben von Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Ich dachte – nur noch Wahnsinnige um mich herum

“Im Grunde habe ich zunächst alles illegal gemacht. Ich habe das Pflegekind einfach so behandelt wie ein zweites leibliches Kind”, sagt Maren Kroeske. Erst zwei Jahre später habe ihr völlig überraschend eine Mitarbeiterin des Jugendamtes triumphal eine Vollmacht unter die Nase gehalten mit den Worten: “Das habe ich der leiblichen Mutter aus den Rippen geleiert.” Es war das erste Mal, dass das Jugendamt tätig geworden war. Bis dato hatte es kaum persönliche Kontakte gegeben, keine Auflagen, geschweige denn Fortbildungs- oder Unterstützungsangebote oder gar eine Überprüfung der Pflegefamilie. “Heute weiß ich, dass das schon mit dem ersten Kennenlernen schief gelaufen ist. Aber hinterher ist man immer schlauer. Ich bin da echt naiv reingelaufen”, gesteht die 55jährige.

Und das kam so:

Am 6. Januar 2011, als Maren Kroeske mit ihrem leiblichen Sohn um 13 Uhr nach Hause gekommen war, hatte sie eine Nachricht vom Jugendamt auf dem Anrufbeantworter vorgefunden. Die habe in etwa so gelautet – “wenn Sie wollen, können Sie heute Nachmittag um 15 Uhr einen kleinen Jungen angucken.” Erst dachte die Lehrerin, wie irre das denn sei so aus dem Off. Schließlich hatten sie und ihr Mann vor sage und schreibe sechs Jahren einen Adoptionsantrag gestellt, weil sie dachten keine Kinder mehr bekommen zu können. Seitdem habe sich nie etwas getan. Jedenfalls nicht in Sachen Adoption. Dafür zu Hause bei den Kroeskes. Hier hatte sich nun doch Nachwuchs eingestellt und eine Adoption war gedanklich in den Hintergrund geraten.

Dann, im Sommer 2010, ihr kleiner Sohn war noch nicht ganz drei Jahre alt, kam der erste Anruf des Jugendamtes mit der Frage – ob man sich auch eine Pflegschaft vorstellen könne. An besagtem 6. Januar packte die Lehrerin also ihren Sohn ins Auto, informierte ihren Mann und fuhr zur genannten Adresse der Bereitschaftspflege. Vom Jugendamt vor Ort weit und breit keine Spur. Am nächsten Tag dann wieder nur ein Anruf mit der Nachfrage: Na, hat Ihnen der Junge gefallen? Das hatte er. Obendrein hatte der Kroeske-Mini Lust auf einen kleinen Bruder als Kumpel. Damit war die Sache besiegelt. Schon drei Wochen später zog der 13 Monate alte Jeremie bei den Kroeskes ein.

Die Lehrerin: “Ich bin dorthin gefahren, wieder war kein Jugendamt da. Ich saß danach im Auto, das fremde Kind neben mir, ich guckte es an und dachte, wie irre ist das eigentlich hier? Eine wildfremde Person hat dir gerade ein Kind mitgegeben, überhaupt nichts ist dokumentiert. Wenn Du zu Ikea fährst und holst dir einen Schrank, musst du drei Mal unterschreiben, bis du ihn ausgehändigt bekommst. Ich saß da eine Viertelstunde vor dem Haus der Bereitschaftspflege und konnte nicht losfahren.”

Informationen über die Herkunft des Kindes? Maren Kroeske rekapituliert: “Fünf Monate war Jeremie bei der Bereitschaftspflege gewesen. Das einzige, was ich mal gesagt bekommen hatte, war, die Mutter sei harmlos. Die Mutter sei alleine, käme mit der Lebenssituation nicht klar, sei noch sehr jung, sei im Mutter-Kind-Heim gewesen. Dort habe sie das Kind fast verhungern lassen, denn es sei 17 Stunden ohne Nahrung gewesen. In Tränen aufgelöst hatte die Mutter geglaubt, ihr Kind sei tot. Man sei ins Krankenhaus, weil das Kind völlig dehydriert gewesen sei. Darauf folgte die Entscheidung, das Kind solle besser in Pflege gegeben werden.

Die erste Zeit mit dem Jungen sei vergleichsweise unkompliziert verlaufen, berichtet die Pflegemutter. Im Kindergarten sei er lediglich auffällig gewesen, weil äußerst aktiv. Auch Maren Kroeske erlebte an ihm eine stete Unruhe. Und ungewöhnlich fand sie: “Er konnte durch einen durch gucken.” Die Lehrerin dachte, dass sei die erlittene Traumatisierung. Ja, und die Füße, “die stachen mir von Anfang an ins Auge, die waren quadratisch. Aber ich dachte, naja, es gibt eben Familien, die haben halt solche Füße. Erst später habe ich erfahren, woher das kommt.”

Das FASD-klassische Drama begann, als Jeremie eingeschult wurde. Kroeske: “Er konnte nicht sitzen wie andere Kinder. Er konnte keine Regeln befolgen. Er saß oft unter dem Tisch, kletterte in Spinte, um sich zu verstecken. Mein und Dein kann er bis heute schlecht unterscheiden. Nach dem Stuhlgang auf der Toilette hat er sich entweder mit dem Ärmel abgeputzt, oder die Hose einfach hochgezogen.”Weil immer mehr Auffälligkeiten hinzukamen, begann Maren Kroeske eine Liste zu führen. Die Liste wurde länger und länger – schlechtes Orientierungsvermögen, mangelndes Zeitempfinden, hohe Vergesslichkeit, kognitiv defizitär, heftige Impulsdurchbrüche, wozu gehörte, dass der Junge locker eineinhalb Stunden am Stück “brüllte wie ein Irrer”. Aber keiner kam auf die Idee, was die Ursache für all diese Auffälligkeiten sein könnte. Maren Kroeske machte sich also im Internet auf die Suche. Schnell wurde sie fündig.

Die Zweifachmutter wandte sich sofort ans Jugendamt und forderte eine Diagnose. “Dort bin ich so richtig zurechtgefaltet worden. Es hieß, die leibliche Mutter habe ganz klar gesagt, dass sie nicht getrunken habe und deshalb würde hier gar nichts unternommen.” Besser noch: “Die Mutter und das Jugendamt wollten mir das Kind wegnehmen und in eine Wohngruppe stecken.” Maren Kroeske lässt sich das nicht gefallen. Sie stellt bei Gericht einen Verbleibensantrag. In einem Gutachten wurde festgestellt: Die Herausnahme des Jungen bei der Pflegemutter bedeute eine Kindeswohlgefährdung. Die Retourkutsche des Jugendamtes lässt nicht auf sich warten: Entzug der Vollmacht für Jeremie.

Im Zuge der gerichtlichen Auseinandersetzung kommt es denn aber doch zur Diagnose. Dr. Reinhold Feldmann stellt in der FASD-Ambulanz in Walstedde fest: partielles FASD, reaktive Bindungsstörung, Entwicklungsverzögerung, stark verminderte Merkfähigkeit, Dyskalkulie und einen Gendefekt, dessen Art aber noch nicht geklärt ist. Dadurch, dass Jeremies Intelligenzquotient bei 94 liegt, “merkt er, welche Defizite er hat und sagt immer – mein dummer, dummer Kopf – und ist ganz verzweifelt. Er tut mir so wahnsinnig leid”, sagt seine Pflegemutter. Fünf Dienstaufsichtsbeschwerden muss Maren Kroeske losjagen. Dann erst erkennt das Jugendamt die Diagnose an.

Eine weitere Kampfansage musste die Lehrerin machen, als es um die Wahl der weiterführenden Schule geht – Realschule, Gesamtschule oder Förderschule. Das Jugendamt verfügte, dass die Entscheidung bei der leiblichen Mutter zu liegen habe. Im Schulterschluss mit dem Jugendamt plädiert diese ohne Gespräche mit der Pflegemutter für die Realschule; und zwar ohne Schulbegleiter. Was folgte, ist nicht schwer zu erraten: “Ich musste Jeremie permanent abholen oder ihn suchen gehen, da er das Schulgelände immer wieder einfach verlassen hatte.”

Für die meisten Menschen der Horror, für manche auch ein Segen: Corona! “Mir spielte Corona in die Hände”, sagt Maren Kroeske, “denn es gab den Erlass, dass den Kindern nicht zur Last gelegt werden darf, wenn die Eltern sich weigern das Kind testen zu lassen. Die leibliche Mutter, mit der die Pflegemutter in der Zwischenzeit entgegen den Bestrebungen des Jugendamtes einen freundschaftlichen Kontakt hat aufbauen können, unterschreibt: Ich will nicht, dass mein Kind ständig getestet wird. Maren Kroeske triumphiert: “Daraufhin musste Jeremie zu Hause bleiben.”

Die Lehrerin legt aber keineswegs die Hände in den Schoß. Sie schreibt eine Dienstaufsichtbeschwerde nach der anderen. An das Jugendamt Schwelm, an das Landesjugendamt, an den Bürgermeister, an die Landesbehindertenbeauftragte – keiner der Beteiligten bleibt verschont, sieben werden es insgesamt. Die hartnäckige Aktion zeigt Wirkung. Der Leiter des Jugendamtes winkt die Finanzierung einer Privatschule durch. Und ein Transfer mit dem Taxi wird auch noch obendrauf gepackt. “Übrigens flatterte mir zeitgleich von einer Sachbearbeiterin eine Anzeige über Kindeswohlgefährdung ins Haus”, merkt eine enervierte Pflegemutter an, “man hielt mich beim Jugendamt über Jahre für persönlichkeitsgestört.”

Ah, und nun? Kroeske berichtet atemlos: “Man schickte mir Familienbegleiter. Die erste war schon eine Katastrophe. Die schrie mich an. Der zweite kam hier rein, sagte als erstes, ich hätte keine Ahnung von Pflegekindern, aber er, und außerdem könne er Lehrer nicht ausstehen. Das ich meinem Sohn erlaube, dass er sich mit Stiften Tatoos auf die Haut male, sei Körperverletzung. Ebenso die Tatsache, dass ich ihm die Haare extrem kurz hatte abschneiden lassen, weil Jeremie selbst an sich herumgeschnippelt hatte. Die Friseurin hatte gemeint, da sei leider gar nichts mehr zu machen als ganz kurz zu schneiden. Übrigens: Der Typ hatte einen langen Zopf bis zum Popo.

Ich habe gedacht, ich habe nur noch Wahnsinnige um mich herum. Nun, jedenfalls, als der Typ mir die Körperverletzung nachweisen wollte, hat er Jeremie, als er mit ihm alleine war, ungefragt das T-Shirt über den Kopf gezogen. Jeremie hat mir das aber erzählt. Ich dies dem Jugendamt. Das wiederum behauptete, ich erfände Geschichten, um die Mitarbeiter zu diskreditieren. Zum Glück hatte Jeremie in einer Befragung in der Schule erzählt, was dieser Typ mit ihm gemacht hatte. Das wurde ans Jugendamt weitergeleitet. Ich habe beantragt ihn abzuziehen. Das tat sie dann auch.

Zur Krönung wurde dann ein Psychologe geschickt. Während des Gesprächs mit mir, das ich mit seinem Einverständnis aufzeichnete, erzählte er, dass er den Auftrag bekommen habe: Finden sie das Haar in der Suppe, damit wir das Kind da herausnehmen können. Als ich ihn fragte, warum er das mache, antwortete er, Sie wissen doch – wess’ Brot ich ess’, dess’ Lied ich sing.” Nun, dieses sein Lied kam jedenfalls nicht zustande. Und damit Ende der Kindeswohlgefährdung. Das Spiel mit den Dienstaufsichtbeschwerden allerdings geht weiter seinen Gang. Und fährt tatsächlich wieder einen Erfolg ein. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe hat sich jetzt des Falles angenommen und möchte diesen endlich und endgültig regeln.

Was steht sonst noch so an? Maren Kroeske: “Anhängige Klage vor dem Verwaltungsgericht, dass mir der 3,5-fache Satz für ein behindertes Pflegekind zusteht. Anhängige Klage beim Sozialgericht um die Anerkennung der Schwerbehinderung und der Merkzeichen.”

Autorin: Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

“Ich durfte Schmiere stehen”

Als Dörte K., Mutter von drei Söhnen im Alter von 27, 25 und 14 Jahren, im Jahr 2016 mit ihrem Jüngsten zu einer Untersuchung in die Berliner Charité ging, wurde sie sofort gefragt, ob sie Alkohol in der Schwangerschaft getrunken habe. Ihrem Sohn fehlt nämlich ein Gehörgang, klassisches Indiz für fetale Alkoholschäden. Völlig überrascht wehrte Dörte, die in keiner ihrer Schwangerschaften Alkohol konsumiert hatte, die Vermutung ab. Und völlig überrascht ging sie anschließend mit Verdacht auf Fetales Alkoholsyndrom für sich selbst nach Hause.

Einige Zeit später sollte der Berliner FAS-Experte Professor Hans-Ludwig Spohr diesen Verdacht bestätigen. Da war die Brandenburgerin schon 44 Jahre alt und hatte bis dato immer nur gedacht, dass sie “eben dumm” sei. “Wie soll man sich seine Defizite denn auch sonst erklären?”, fragt sie. Ihrer Seele habe das nicht gut getan, konstatiert Dörte: “Ich habe wenig Selbstwertgefühl. Immer noch. Nicht mehr so schlimm. Es ist besser geworden.”

Was hat die Ärzte veranlasst, den Verdacht auf FAS zu äußern?

Dörte: Sie fragten mich über meine Vergangenheit aus. Ich erzählte ihnen von meinen Gefühlsausbrüchen, meinen Ängsten und Depressionen, von meiner Vergesslichkeit, der Unordentlichkeit und meiner Überforderung. Und ich erzählte von dem Alkoholproblem meiner Mutter.

In welcher Form hatte sie ein Alkoholproblem?

Dörte: Sie hat heimlich getrunken. Sie war unauffällig, weil sie ja alles geschafft hat – den Haushalt, alles familiäre, sich gut um mich zu kümmern.

Wie hast Du es gemerkt?

Dörte: Da war ich zwölf Jahre alt. Eine Freundin hat mich darauf gebracht, als sie sagte, dass meine Mutter immer nach Alkohol rieche. Und dann habe ich zufällig mitbekommen, dass sie Alkohol in Schraubgläser und andere Gefäße in der Küche abgefüllt hat. Als ich sie darauf angesprochen habe, meinte sie. Das ist jetzt unser großes Geheimnis. Auch der Papa darf davon nichts wissen.

Wie war Deine Reaktion?

Dörte: Meine erste Reaktion war positiv. Wie toll, ich habe ein Geheimnis mit meiner Mutter. Im Urlaub durfte ich dann Schmiere stehen auf der Toilette, wo sie Alkohol abgefüllt hat.

Dein Vater muss das doch mitbekommen haben?

Dörte: Ja schon, aber er war Musiker und sehr viel unterwegs. Ich erinnere mich aber, dass er viel mit ihr geschimpft hat. Und er hat mich geschimpft. Er meinte, ich hätte mich zur Co-Alkoholikerin gemacht.

Wann hast Du gemerkt, dass der Alkoholkonsum Deiner Mutter ein großes Problem ist?

Dörte: Sie war morgens, wenn sie nüchtern war, ganz anders als am Abend. Das war eine völlige Wesensveränderung. Das hat mir Angst gemacht.

Trotz Deiner persönlichen Schwierigkeiten und der Situation zu Hause hast Du die Schule geschafft und eine Ausbildung zur Wirtschaftspflegerin gemacht.

Dörte: Weil meine Mutter mich bei allem immer unterstützt hat. Und dann gab es noch meinen Großvater. Da hatte ich immer einen festen Halt.

Wie hast Du die Diagnose aufgenommen?

Dörte: Ich war erst einmal erleichtert. Aha, jetzt weiß ich wenigstens, warum ich so bin. Jetzt weiß ich, dass ich nicht einfach nur dumm bin. Es war gleichzeitig aber auch beschämend. Eine zeitlang hatte ich große Wut auf meine Mutter. Jetzt habe ich ihr aber vergeben. Ich habe meine Mutter ja auch geliebt. Ich hatte einen Jenseitskontakt und das war sehr schön und da kam viel Liebe rüber. Außerdem ist Alkoholsucht eine Krankheit. Noch dazu herrschte in den 70er Jahren noch große Unwissenheit über die Folgen von Alkoholkonsum in der Schwangerschaft.

Wie hat Dein persönliches Umfeld auf die Diagnose reagiert?

Dörte: Meine Eltern sind beide schon verstorben. Meine Söhne haben total unterschiedlich reagiert. Am liebevollsten war der Jüngste. Der interessiert sich sehr dafür. Mama, wenn das so ist, ich hätte Dir früher schon viel mehr geholfen und helfe Dir jetzt auf jeden Fall mehr. Mein Ex-Mann, der Vater von den drei Söhnen, sagte: Ach deshalb warst Du so.

Zu meinem jetzigen Mann war ich ganz ehrlich gewesen als wir uns kennen lernten. Er hatte nichts besseres zu tun, als es allen seinen Freunden zu erzählen. Ich habe mich dann gewundert, als eine Frau auf mich zukam und sagte, ich solle doch mal meine Lippen zeigen. Mein Mann und ich hatten daraufhin einen Riesenkrach, weil ich ihm vorwarf, dass er mich doch nicht als behinderte Anschauungspuppe darstellen könne. Für ihn bin ich abgestempelt. Wenn ich mal wütend bin, dann sagt er immer, na siehste, bist halt bekloppt.

Wirst Du ärztlich versorgt?

Dörte: Ich habe eine Neurologin. Die hat auch die Diagnose von Spohr. Aber die glaubt mir nicht. Sie sagt immer, Sie können mehr – weil ich ja auch die Rente beantragt habe. Sie sagt immer, Sie trauen sich zu wenig zu, sie sehen immer so gut und gesund aus. Das kann nicht sein, dass sie krank sind. Ich denke mir, das hat doch nichts mit dem Aussehen zu tun. Das Problem liegt doch innen.

Das Interview führte Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne

Erste Flugreise alleine ins Trainingslager – Aufregung pur

Eine Challenge der besonderen Art war Luise’s erste Reise ganz allein im Flieger von Berlin nach Düsseldorf, die sie trotz Flugangst, Sorgen und großer Aufregung ohne Nebenwirkungen überstand. Im Gegenteil: “Das hat mir viel Selbstvertrauen gegeben, was mir für die nächsten Herausforderungen eine Hilfe sein wird”, sagt Luise, die, ebenso wie ihre Zwillingsschwester Clara vom Fetalen Alkoholsyndrom betroffen ist. Luise, die seit vielen Jahren auf hohem Niveau Tischtennis spielt, wollte sich bestmöglich auf die nächste Saison vorbereiten. “Ich habe den Verein spontan gewechselt und möchte meiner neuen Mannschaft helfen, indem ich bestmögliches Tischtennis spiele”, erklärt die 28jährige, “da ich zeitlich durch meine Arbeit sehr eingeschränkt bin, musste ich schauen, wie ich das alles hinbekomme.” Und so entschied sich die ausgebildete Heilerziehungspflegerin für ein Wochenende Trainingslager in Düsseldorf. Luise, die für Happy Baby No Alcohol als engagierte Botschafterin unterwegs ist, und zeigen möchte, dass vieles trotz fetalen Alkoholschäden möglich ist, hat uns zu ihrer Challenge ein paar Fragen beantwortet:

Hast Du alles alleine geplant und organisiert?

Luise: Ich habe die ganze Reise alleine geplant. Erst habe ich mir den Lehrgang rausgesucht und dann die Flüge gebucht. Im Vorfeld habe ich mir das Wochenende frei gekreuzt, damit ich dann da auch keinen Dienst habe.

Welche Gefühle gingen Dir dabei durch den Kopf?

Luise: Mein Gefühl war, oh, ob ich das wirklich schaffe, diesen Lehrgang, trotz Arbeit und allem, was sonst noch so ansteht?! Aber da ich schon von vergangenen Jahren als ich da war gute Erinnerungen hatte, habe ich mich eigentlich nur gefreut. Und ich wollte noch einmal kurz vor der Saison ein intensives Training haben, um bestmöglich in die Saison zu starten.

Welche Bedenken hattest Du im Vorfeld? Wenn ja, wie bist Du damit umgegangen?

Luise: Ich hatte nur eine Sorge, nämlich was ist, wenn ich mich im Training verletze?! Denn dann müsste ich alleine ins Krankenhaus und ich müsste verletzt zurück fliegen. Diese Gedanken waren echt zermürbend. Ich sagte mir dann aber, durch Sport können Verletzungen entstehen und das ist normal. Aber deshalb nicht zu fliegen und nicht den Lehrgang mit zu machen, ist Quatsch. Ich möchte besser werden, also musst du auch Risiko eingehen. Schon war der Gedanke viel milder und ich habe mir gesagt, wenn etwas passiert, dann soll es so sein!

Wie war der Flug für Dich?

Luise: Der Flug war tatsächlich für mich sehr aufregend und nervzerreißend. Das lag daran, dass ich vor der ganzen Situation Respekt hatte: Wie ist es mit dem Einchecken?Werde ich gleich mein Gate finden? Wie läuft generell das Einchecken ab? Außerdem habe ich wirklich Flugangst. So war es für mich doppelt schwer, dass ich ganz auf mich alleine gestellt war, wohl wissend, dass ich im Flugzeug niemand haben würde, an den ich mich würde anlehnen könne, wenn ich Angst bekomme. Aber wie es oft bei mir ist, mache mir mega die Gedanken und Sorgen. Am Ende war der Flug an sich gar nicht schlimm, viel aufregender war das einchecken auf dem großen neuen Berliner Flughafen.

Wie war die Ankunft in der fremden Stadt?

Luise: Am Flughafen Düsseldorf kannte ich mich gar nicht aus. Ich bin dann einfach nach den Schildern gelaufen und zum Glück bin ich auch gleich zu meinem Laufband gekommen, wo auch mein Koffer ankam. Dann bin ich direkt zum Taxistand und habe mir ein Taxi zum Sport Hotel genommen.

Was ist super gelaufen, was nicht?

Luise: Super ist gelaufen, dass die ganze Reise sehr schnell ging dank dem Flug. Vor Ort konnte ich nicht gleich in mein Zimmer, so musste ich noch zwei Stunden warten. Diese habe ich dann zum Einkaufen genutzt, um vor der ersten Trainingseinheit noch was zu essen.

Wie ist Dein Fazit?

Luise: Ich weiß, dass Fliegen und auf sich alleine gestellt zu sein, gar nichts Schlimmes ist. Man lernt sich selbst nochmal von einer ganz anderen Seite kennen und man lernt zu reagieren, wenn Situationen aufkommen ,die man so noch nicht kennt.

Was willst Du anderen mit auf den Weg geben?

Luise: Ich möchte mit dem Bericht zeigen, das man Ängste, Zweifel, Aufregung und innere Unruhe mit sich selbst ausmachen kann. Wenn man neuen Dingen offen gegenüber steht und sich dem annimmt, dann lernt man sich selbst ganz neu kennen und bekommt Selbstbewusstsein. Dieses Selbstbewusstsein stärkt einen für viele weitere Aufgaben im Leben.

Die Fragen stellte Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne