Wie spannende Prosa, bei der man nicht aufhören kann zu lesen

Rezension des kürzlich erschienen Sachbuches “Alkohol in der Schwangerschaft – Die unterschätzte Gefahr” von Anja Bielenberg, @fasd-schleswig-holstein.de, und Mutter von drei Pflegekindern mit der Diagnose Fetales Alkoholsyndrom:

Es ist das beste Buch über, von und mit FASD, da ich je gelesen habe. Es ist ein Buch, auf das ich und alle Eltern von Kindern mit FASD schon lange gewartet haben. Es berührt, es nimmt mit, es erschüttert und macht wütend, es klärt auf, gibt Hoffnung, weckt Lust die Stimme zu erheben und sich zu engagieren. Das Buch zeigt in allen Facetten auf, wie unterschätzt die Gefahr von Alkohol in der Schwangerschaft ist. Und wie unser Gesellschaftssystem unsere Kinder sprengt, weil nicht geglaubt werden will, was Tatsache ist: FASD ist mitten unter uns.

Obwohl ich selbst mit meinen eigenen Kindern oft genug verzweifelt war und mich immer wieder den Behörden so hilflos ausgesetzt gefühlt habe – ich bin zutiefst erschüttert über die Situation in unserem Land. Das Ausmaß an Unwissen, Ungerechtigkeit, Willkür und Ignoranz raubt den Atem. Das Buch zeigt den riesigen Bedarf an Aufklärung und Sensibilisierung. Und den riesigen Bedarf an Hilfe und Unterstützung für die Menschen mit FASD, ihre Familien und ihr Umfeld.

Es ist zwar ein Sachbuch, aber nicht wie ein solches geschrieben. Es liest sich wie spannende Prosa,  bei der man nicht mehr aufhören kann zu lesen, auch wenn es unterfüttert ist mit reichlich Fach- und Sachwissen sowie Studienauswertungen. Man hat das Gefühl live dabei zu sein, wenn Dagmar einfühlsam, aber schonungslos die vielen dramatischen Geschichten erzählt, die Eltern von Kindern mit FASD oder erwachsene FASD-Betroffene erlebt haben. Welche Gedanken, Gefühle, Sorgen und Nöte sie umtreiben, wie sie kämpfen, scheitern, weitermachen, Erfolge erzielen, wie sie dennoch auch glücklich sind und warum.

Das zeigen auch die Kinder, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die, ganz wichtig, ebenso zu Wort kommen. Man wird mitgenommen in ihre Welt, die so ganz anders ist als unsere. Selbst Menschen, die mit FASD bislang noch nicht in Berührung gekommen sind, werden durch dieses Buch FASD begreifen und die komplexe Thematik verstehen. 

Aber nicht nur die persönlichen Geschichten machen das Buch aus. Dagmar deckt alle relevanten Themenfelder von FASD ab. Ob es um Differenzialdiagnostik geht oder Suchtverhalten. Ob um die Bedeutung der Diagnose oder Therapiemöglichkeiten. Ob um FASD in der Schule, in der Arbeitswelt oder FASD im Erwachsenenalter. Oder auch die Problematik der angelegten Straffälligkeit. 

Und obwohl immer wieder gnadenlos der Finger auf die all die Wunden gelegt wird, die unsere Gesellschaft, unser Sozialsystem offenbart – der erhobene Zeigefinger findet sich nirgends. Dagmar schärft dem Leser den Blick und führt mit der Unterstützung ihrer fachlich hochqualifizierten Gesprächspartner Wege auf, wie den Missständen begegnet werden kann. Eltern wird es zum einen helfen, für sich Lösungswege zu entdecken.

Zum anderen wird das Buch ihnen emotional helfen. Weil sie sich nicht mehr allein fühlen werden. In dem Buch findet man sich wieder und erhält immer wieder die Bestätigung, dass man weder als Eltern unfähig ist und versagt, noch als FASD-Betroffene. Ganz im Gegenteil.

Kurzum: Wer dieses Buch liest, kann nicht umher, den Blick auf FASD verändert zu haben und sich dem Thema weiter zu öffnen. Ein wirklich großartiges Buch.

DDD – Danke dafür Dagmar!

“Alkohol in der Schwangerschaft – Die unterschätzte Gefahr”, Dagmar Elsen, Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein, 2022