Endlich sagt es mal jemand!

Ein Leserbrief zum Sachbuch „Alkohol in der Schwangerschaft – Die unterschätzte Gefahr“ von Dagmar Elsen, erschienen im Schulz-Kirchner-Verlag, Idstein 2022, ISBN: 978-3824813032:

Ich bin Pflegemutter. Seit 2008. Pflegemutter eines damals gerade zwei Jahre alten Kindes mit dem Vollbild Fetales Alkoholsyndrom (FAS). Blauäugig sind wir in die Pflegschaft gestartet, naiv, unwissend, hoch motiviert. Heute, 14 Jahre später, lese ich das Buch der Autorin Dagmar Elsen und wünschte mir aus vollem Herzen, dieses Buch hätte es schon 2008 gegeben!

Wieso? Weil unserer persönlichen Erfahrung nach einzig Professor Hans-Ludwig Spohr von der Charite´ uns damals auf einige, bei weitem nicht alle Probleme, Sorgen, Auffälligkeiten des fetalen Alkoholsyndroms aufmerksam gemacht hat. Informationen zur Gesundheit des Kindes, zum Ausmaß des bekannten Alkoholkonsums der Mutter, zur Perspektive des Kindes mit seiner angeborenen Behinderung, gab es von Seiten des Jugendamtes nur sehr spärlich. Gut in der Hinsicht, dass wir damals dachten: wird schon! Schlecht, weil wir garantiert aus Unwissenheit, Unsicherheit und aus dem Bauch heraus Entscheidungen getroffen haben, die ich mit meinem jetzigen Wissen natürlich anders machen würde.

Und dabei hätte mir ein Buch wie das der Autorin Elsen sehr helfen können!                                      

Nicht nur, weil sie akribisch zum Thema FASD recherchiert hat und selbst Nichtkenner der Materie hier im Buch alles über die fetalen Alkoholschäden, deren Folgen und Auswirkungen, nachlesen können. Nein, ihr gelingt es, dem rein Fachlichen eine persönliche, gar menschliche Note zu geben, indem sie Kontakt zu Betroffenen aufgenommen hat und deren Geschichten einfühlsam niederschreibt. Und was für Geschichten! Ohne aufdringlich oder reißerisch zu wirken, erzählt sie hier von Alltagsepisoden und Problemlagen, die in den Familien mit FASD- Kindern jederzeit und immer anzutreffen sind.

Oh, wie habe ich mich wiedergefunden: die Seiten über die Schulkonflikte, die Berichte zum Umgang des Jugendamtes mit der von der Charite´ gestellten Diagnose, die Unkenntnisse über die vielen „Gesichter“ von FASD…vieles kenne ich auch aus unserem privatem Umfeld!

Es mag dem einen oder anderen Leser vielleicht vorkommen, als gäbe das Buch zu wenig Zuversicht, zu wenig Mut! Meiner Meinung nach klärt das Sachbuch auf: DAS LEBEN MIT EINEM FASD – KIND IST ANSTRENGEND, HERAUSFORDERND und OHNE HILFE KAUM ALLEIN ZU BEWERKSTELLIGEN.

Endlich sagt es mal jemand! Aufklärung tut Not und Beschönigen der Diagnose hilft niemandem, schon gar nicht dem betroffenen Kind.

Dagmar Elsen schreibt in ihrem Vorwort von „kämpferischen Menschen, die aufstehen, die sich trauen, ihre Rechte zu benennen und einzufordern, die ihre Stimme erheben und an die Öffentlichkeit gehen“. Diese Menschen braucht es, es braucht Initiatoren wie Dagmar Elsen, deren Sachbuch eine notwendige Folge Ihrer Kampagne HAPPY BABY NO ALCOHOL ist. Denn ganz ehrlich, es wird auch in der nahen Zukunft Kinder wie Luca und Max, Erwachsene wie Jenny und Dörte geben.

Menschen, die auf die Aufklärung zum fetalen Alkoholsyndrom angewiesen sind. Damit sie Hilfen bekommen und ein barrierefreies, sicheres Leben leben können. Dieses Sachbuch klärt auf!

Hat mich persönlich das Buch davon abhalten können, mit einem FASD-Kind zusammen zu leben?

Ganz klar: Nein!

Trotz aller familiären Schwierigkeiten, der immer noch vorhandenen Unwissenheit und der Halbwahrheiten über FASD bei Kita, Schule und Behörden, der vielen Unwägbarkeiten im Jugend- und Erwachsenenalter haben mein Mann und ich beschlossen, einem weiteren alkoholgeschädigtem Kind Familie zu sein und Zukunft zu geben.

Gerade weil es solche Bücher wie „Alkohol in der Schwangerschaft – Die unterschätzte Gefahr“ gibt, dass ich jetzt verschenken kann, um aufzuklären, zu erklären und Hilfe für uns und unser Kinder zu bekommen.

Gerade weil diese Kinder am wenigsten dafür können, als sogenannte „Systemsprenger“ in der Gesellschaft abgestempelt zu werden.

Und gerade weil die Gefahr von Alkohol in der Schwangerschaft immer noch unterschätzt wird.Kathrin Niedermanner, Dozentin für Kindeswohlgefährdung