Betreuerin Lisa: “Meine Arbeit wurde teilweise in Frage gestellt”

Lisa, 31 Jahre alt, hatte zunächst in Augsburg eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht. Im Anschluss arbeitete sie in Berlin in einer Einrichtung für Betreutes Wohnen. Hier wurde ihr alsbald angetragen, auch für die Betreuung eines jungen Mannes verantwortlich zu sein, dem im Alter von 18 Jahren fetale Alkoholschäden diagnostiziert wurden. Das war 2014. Seit 2018 studiert sie in Regensburg an der Hochschule soziale Arbeit und schreibt gerade an ihrer Bachelorarbeit zum Thema Fetales Alkoholsyndrom. Lisa möchte sich damit fit machen, noch besser aufklären zu können. Das finden wir großartig und wollten mehr von ihr wissen.

Wird an Deiner Uni das Fetale Alkoholsyndrom thematisiert? Wenn ja, in welcher Form?

Lisa: Meiner Meinung wird es total vernachlässigt. Lediglich bei einem Seminar mit dem Titel „Suchterkrankung“ wurde die Thematik in einer Vorlesung angesprochen. Es handelte sich hierbei nicht einmal um eine Pflichtveranstaltung, sondern um einen Wahlkurs. Das heißt, viele meiner Kommilitonen haben während ihres gesamten Studiums nichts vom Fetalen Alkoholsyndrom gehört.

Wann bist Du mit der Thematik zum ersten Mal in Berührung gekommen?

Lisa: Nach meiner Ausbildung zur Erzieherin in Berlin. Neben meiner Tätigkeit in einer Wohngruppe wurde es zu meiner Aufgabe, im ambulant betreuten Wohnen einen jungen Mann zu begleiten, der die Diagnose FASD hatte. Er sollte zum ersten Mal allein in einer eigenen Wohnung zurechtkommen. Vorher hatte er viele Jahre im betreuten Wohnen gelebt.

Warst Du denn auf diesen Job speziell vorbereitet?

Lisa: Im Vorfeld hatte ich noch nie etwas über dieses Krankheitsbild gehört und mir wenig Gedanken darüber gemacht, ob es spezielle Punkte gibt, die zu beachten sind. Auch für die Einrichtung war es neu, da bisher nur Menschen mit einer erworbenen Hirnschädigung begleitet wurden. Aus diesem Grund konnte ich nicht auf bestehende Erfahrungen zurückgreifen. Wenn ich jetzt an die Zeit zurückdenke, wäre einiges leichter gewesen, wenn ich zum damaligen Zeitpunkt schon mehr über die Diagnose gewusst hätte.

Für mich war die Zusammenarbeit mit dem jungen Mann ein Lernprozess, in dem ich immer wieder erfahren musste, wie weitreichend sich dieses Krankheitsbild auf den gesamten Alltag auswirken kann.

Was genau war Dein Arbeitsauftrag?

Lisa: Wir lernten uns kurz vor dem Einzug in seine neue Wohnung kennen und wir waren beide aufgeregt und gespannt, wie unsere Zusammenarbeit, das Einrichten der Wohnung und das Finden gemeinsamer Abläufe werden würde. Ein großes Ziel war die berufliche Integration des jungen Mannes und das Strukturieren seines Alltags.

Aus heutige Sicht – wie bewertest Du Deinen Umgang mit dem jungen Mann?

Lisa: Im Nachhinein weiß ich, dass ich den jungen Mann, vor allem zu Beginn, häufig überfordert habe mit verschiedenen Ideen und Aufgaben, die ich hatte. Für mich einfache und klare Aufgaben, wie das Aufräumen der Wohnung, waren für den jungen Mann nur schwer zu bewältigen. Mit der Zeit verstand ich, dass Handlungsabläufe einfach nicht strukturiert umgesetzt werden konnten, oder gemeinsame Termine nicht „bewusst“ vergessen wurden, sondern diese Aspekte Teil der Behinderung sind. Die größte Herausforderung war für mich immer wieder, Geschehnisse nicht persönlich zu nehmen und zu verstehen, dass es dem jungen Mann einfach nicht möglich war, bestimmte Dinge zu erledigen.

Zum Glück waren wir beide nicht nachtragend und konnten so nach der Bewältigung einiger Hürden gemeinsam einen professionellen Weg finden, um verschiedene Ziele zu erreichen. Wir hatten uns auch schon von Beginn an gut verstanden.

Wir führten viele Gespräche, die mir geholfen haben, die Lebenswelt und das Krankheitsbild des jungen Mannes besser zu verstehen. Ich bin froh, dass er damals so offen mir gegenüber war, obwohl er in seiner Vergangenheit bereits viele negative Erlebnisse mit Fachkräften gemacht hatte. Die Diagnose hatte er erst nach seinem 18. Lebensjahr bekommen. Er erzählte, dass er in seiner Kindheit und Jugend oft missverstanden wurde, dass sein Verhalten häufig fehlverstanden wurde.

Welche Ziele konntet ihr erreichen, welche nicht?

Lisa: Wir erstellten gemeinsam Pläne für verschiedene Aufgaben, auf denen detailliert die einzelnen Arbeitsschritte aufgelistet waren. Viel Zeit nahm das angeleitete Aufräumen der Wohnung ein. Auf den Plänen waren für jeden Tag verschiedenen Aufgaben aufgelistet, welche in der Wohnung erledigt werden sollten. Diese arbeiteten wir gemeinsam bzw. unter Anleitung ab.

Ein weiterer großer Punkt war die Ernährung. Ich versuchte ihm Abläufe beim Kochen zu erklären und diese aufzuschreiben, da er sich ausschließlich von Fertigprodukten ernährte. Eine gesunde Ernährung war wichtig, da er einen zu hohen Zuckerwert hatte und deshalb genau darauf achten sollte, was er zu sich nimmt, um nicht an Diabetes zu erkranken.

Die berufliche Integration war ein weiterer großer Bereich. Das Arbeitsamt wollte ihn immer wieder auf den ersten Arbeitsmarkt schicken, was ihn aber überforderte. Dort wurde die Überforderung nicht erkannt, sondern sein Verhalten als „faul“ eingestuft. Wir erarbeiteten gemeinsam seine Interessen und organisierten verschiedene Praktika im Seniorenheim oder in einer Fahrradwerkstatt. Im Rahmen der Praktika ist es ihm immer wieder schwer gefallen, den dort herrschenden Anforderungen gerecht zu werden.

Auch Betreuer von Menschen mit fetalen Alkoholschäden merken schnell, dass sie bei anderen auf Unverständnis und Ablehnung stoßen. Welche Erfahrungen hast Du gemacht?

Lisa: Das Unverständnis von außenstehenden Personen hat mich immer wieder wütend gemacht. Bei Themen, wie beispielsweise einer geeigneten Arbeitsplatzsuche, kämpften wir immer wieder mit Rückschlägen. Wie eben kurz angesprochen, verstand das Arbeitsamt nicht, dass ihn viele Dinge überforderten. Ich fand es schwer mit anzusehen, dass er durch die Vorgaben vom Amt immer wieder an seine Grenzen gebracht wurde und frustrierende Erfahrungen machen musste. Selbst bei meinen Kollegen habe ich Unverständnis wahrgenommen.

Meine Arbeit wurde teilweise in Frage gestellt, da zum Beispiel die Wohnung trotz aller Bemühungen nicht dem subjektiven Bild von ordentlich entsprach. Die gesamte Zusammenarbeit kam mir wie ein Hürdenlauf vor. Sobald wir das Gefühl hatten eine Hürde überwunden zu haben, zeigte sich die nächste.

Wie ist Dein Eindruck – sind die Menschen über die Gefahr von Alkohol in der Schwangerschaft genug aufgeklärt?

Lisa: Ich finde, dass die Gesellschaft nicht ausreichend aufgeklärt ist, welche Folgen der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft haben kann. Immer wieder hört man Aussagen wie „ein Gläschen Sekt während der Schwangerschaft ist doch nicht so schlimm“ oder „das bisschen Alkohol in der Nachspeise macht doch wohl nichts aus während der Schwangerschaft“. Wenn ich solche Aussagen höre versuche ich immer wieder aufzuklären und ein Verständnis zu schaffen. Durch meine Bachelorarbeit kann ich mich nun noch einmal intensiver mit dem Thema auseinandersetzen und hoffe, dass ich durch mein Wissen andere aufklären und für das Thema sensibilisieren kann.

Die Fragen stellte Dagmar Elsen, Journalistin und Initiatorin der Kampagne